Montag, 16. März 2020

Fehlendes Entsetzen

Das Corona-Virus verbreitet sich immer schneller. Es mag sein, dass am flächendeckenden Ausschluss der Öffentlichkeit von katholischen Gottesdiensten kein Weg vorbeiführt. Doch die zum Teil beflissene und geschäftsmäßige Art und Weise, mit der einige Bistümer ihre diesbezüglichen Entscheidungen umsetzen und kommunizieren, ist erschreckend. Viel zu wenig wird deutlich: Was hier passiert, ist eine absolute spirituelle Katastrophe, die es so in zweitausend Jahren Christentumsgeschichte nicht gegeben hat – noch nicht einmal in Zeiten der schlimmsten Verfolgung. Die Katholiken können nicht mehr an der Messe teilnehmen. Sie können nicht mehr die Sakramente empfangen. Auch an Ostern wird es wohl vielerorts keine Gottesdienste geben. Wenn es denn stimmt, was uns stets gepredigt wurde – dass die Kirche „aus der Eucharistie lebt“, dass die Christen angeblich „ohne den Sonntag nicht sein können“ – dann wäre doch zu erwarten, dass ein Bischof, der alle öffentlichen Gottesdienste absagen muss, deutlich macht: Ich sehe mich zu etwas absolut Grauenerregenden, eigentlich Unvorstellbaren gezwungen. Doch davon ist wenig zu spüren. Sind Fernsehgottesdienste und häusliche Gebete am Ende genauso gut? Dann hat der Glaube an die Kirche als sakramentale Realität aufgehört, zu existieren.
Heilige Corona -  bitte für uns.

Montag, 14. Januar 2019

Arrivederci Roma

Seit Ende des Jahres arbeite ich nicht mehr in Rom. Turnusgemäß hat mein Kollege Lucas Wiegelmann, bislang stellvertretender Feuilletonchef bei "Welt" und "Welt am Sonntag", den Posten übernommen und arbeitet nun für die "Herder Korrespondenz" und den Verlag Herder in der Ewigen Stadt. Ich bin gespannt auf seinen Blick auf Papsttum, Vatikan und Weltkirche!
Es war eine spannende und herrliche Zeit in Italien. Ich habe verrückte Dinge erlebt, eine Menge interessanter, schräger und auch liebenswürdiger Leute kennengelernt. Meine Frau und ich bleiben der Stadt verbunden. Am 8. Dezember, dem Patronatsfest, wurden wir in die Erzbruderschaft der Deutschen und Flamen am Campo Santo aufgenommen. Einen kleinen Abschiedstext haben ich hier veröffentlicht. Ich freue mich auf ein Wiedersehen! Ich mache jetzt eine kleine Pause und schreibe ab März wieder von Berlin aus.

Donnerstag, 27. September 2018

Zitiert werden

Das wünschen sich alle Journalisten: Zitiert zu werden, dass andere Medien die eigenen Texte aufgreifen, den eigenen Namen nennen. Man kommt sich relevant vor, gilt als Experte. Einerseits. Anderererseits hat man nicht in der Hand, von wem man zitiert wird und ob man überhaupt richtig zitiert wird. So kann aus einem eher trockenen Bericht ein reißerischer Report werden.
Ein bekanntes konservatives Internetportal aus Linz beispielsweise hat einen Text über Papst Franziskus und die Missbrauchskrise entdeckt, den ich für die Herder Korrespondenz geschrieben habe. Schaut man sich die Zusammenfassung meines Beitrages an, sieht man, wie sich die Darstellung der Sachverhalte und ihre Bewertungen leicht verschieben.
In meinem Artikel schreibe ich beispielsweise:
So ergibt sich ein ambivalentes Bild: Der Papst stellt sich dem Problem, ist auch imstande, durchzugreifen, trifft sich regelmäßig mit Missbrauchsopfern. Gleichzeitig schaut er in Einzelfällen weg und zeigt sich „beratungsresistent“. Zuletzt behauptete eine französische Fernsehdokumentation, Franziskus habe als Erzbischof von Buenos Aires versucht, die Justiz zu beeinflussen, um den pädophilen Priester Julio César Grassi zu schützen.
Die Kollegen machen daraus Folgendes:
Für die Herder-Korrespondenz ergibt sich daher ein sehr ambivalentes Bild von Franziskus im Missbrauch-Kontext. Dieser stelle sich zwar dem Problem, treffe sich regelmäßig mit Missbrauchsopfern und greife auch ab und zu durch. Gleichzeitig schaue er aber laut der Zeitung in Einzelfällen weg und zeige sich „beratungsresistent“. Leven erinnert auch an die französisch-deutsche Fernsehdokumentation, die nachgewiesen hat, dass Franziskus habe als Erzbischof von Buenos Aires versucht habe, die Justiz zu beeinflussen, um einen pädophilen Priester zu schützen.
Klingt erstmal so ähnlich. Aber wenn man genau hinschaut, entdeckt man die Veränderungen. Aus "ambivalentes Bild" wird "sehr ambivalentes Bild". Aus "stellt sich dem Problem" wird "stellt sich zwar dem Problem". Aus "ist auch imstande, durchzugreifen" wird "greife auch ab und zu durch". Und aus "behauptet" wird "nachgewiesen".
Das ist schade, denn in einem solchen Text wählt man seine Worte mit Bedacht - gerade, wenn es um ein so heikles Thema geht.

PS: Die von mir monierten Formulierungen wurden inzwischen geändert.

Freitag, 7. September 2018

Wenn Vertuschung scheitert

Im Jahr 2010 wurde bekannt, dass der damals noch amtierende Bischof von Brügge, Roger Vangheluwe (geboren 1936) jahrelang seinen Neffen missbraucht hatte. Am 23. April 2010 bot Vangheluwe dem Papst seinen Rücktritt an, den dieser eine Stunde später (!) annahm. Am selben Tag sagte der emeritierte Erzbischof von Mechelen-Brüssel und ehemalige Primas von Belgien, Godfried Kardinal Danneels: "Es hat von meiner Seite noch nicht einmal den Anschein eines Versuches gegeben, die Angelegenheit zu vertuschen oder den Mantel der Geheimhaltung darüber zu breiten."
Dem Rücktritt war ein Gespräch zwischen Vangheluwe, dem Opfer, seiner Familie und Kardinal Danneels in einer Abtei vorangegangen. Am 28. August 2010 publizierte die belgische Zeitung "De Standaard" die Mitschrift dieses Gespräches, das heimlich aufgenommen worden war. Es dokumentiert, mit welcher Perfidie Kardinal Danneels damals versuchte, die Tat seines Amtsbruders zu vertuschen und das Opfer zum Schweigen zu bringen.
Der Betroffene, Mark Vangheluwe, hat sich im vergangenen Jahr in einem Buch mit seinen Erfahrungen auseinandergesetzt. Er schrieb einen "Brief an den Papst" (Brief aan de Paus, Uitgeverij De Bezige Bij, Amsterdam/Antwerpen 2017). Hier schildert er seine jahrelangen Versuche, den Onkel dazu zu bringen, seine Schuld einzugestehen und Verantwortung zu übernehmen. Am Ende dieser Entwicklung stand das Gespräch vom April 2010. Roger Vangheluwe war in die Enge getrieben. Nun setzte er auf Danneels, der für ihn wohl einen letzten Versuch starten sollte, für ihn die Kohlen aus dem Feuer zu holen.
Angesichts der aktuellen Diskussionen fand ich es interessant, sich dieses Dokument einmal näher anzuschauen. Ich habe die Gesprächsabschrift aus dem Flämischen übersetzt und mit Kommentaren versehen.


Gespräch am 8. April 2010 zwischen Kardinal Danneels und dem Opfer 

Roger Vangheluwe: Der Vorschlag ist, dass Mark erst einen Moment mit dem Kardinal spricht.

Mark Vangheluwe: Ich dachte, dass es der andere Kardinal sein würde?

Roger Vangheluwe: Wir haben doch nur einen Kardinal, oder?

Mark Vangheluwe: Ja, aber wir dachten, dass es der Erzbischof wäre.

Roger Vangheluwe: Aber Du hattest doch nach dem Kardinal gefragt.

Roger Vangheluwe geht hinaus.

Mark Vangheluwe hatte seinen Onkel gefragt, ob dessen "Vorgesetzter" dabei sein könnte, und dabei offensichtlich an den neuen Erzbischof von Mechelen-Brüssel gedacht, Erzbischof André-Joseph Léonard. Dieser hatte kurz nach seiner Wahl das "schuldige Stillschweigen" der Kirche in Sachen Missbrauch eingestanden und die Einrichtung einer Kommission und einer Telefon-Hotline für Missbrauchsopfer bekannt gegeben. Doch Roger Vangheluwe brachte statt Léonard seinen alten Freund Godfried Danneels mit zu dem Termin. 

Godfried Danneels: Mark, setzen Sie sich. Na sagen Sie mal…

Mark Vangheluwe: Also, ich bin meine ganze Jugend über von meinem Onkel Roger missbraucht worden. Sexuell und heute immer noch geistig, und ich finde, dass ich da was tun muss, dass ich die Pflicht habe, das einer höheren Instanz zu melden.

Danneels: Was würden Sie sich denn wünschen? Ich kenne die Geschichte, er hat sie mir schon erzählt. Sie müssen also nicht alles noch einmal erzählen. Aber was soll ich denn jetzt Ihrer Meinung nach tun?

Danneels offenbart hier bereits seine ganze Empathielosigkeit, indem er sich weigert, die Ereignisse aus der Sicht des Opfers anzuhören.

Mark Vangheluwe: Ich übertrage die Verantwortung Euch, ich kann da nicht drüber entscheiden, ich habe die Last auf meinen Schultern und ich will von dieser Last erlöst werden und sie Euch übergeben. Das ist meine Absicht.

Danneels: Ja…

Mark Vangheluwe: Und dass Ihr dann das tut, von dem Ihr meint, dass es getan werden muss, denn ich weiß auch nicht, wie das ganze System funktioniert, also…

Mark Vangheluwe weigert sich, Forderungen zu stellen. Er will, dass die Institution die Tatsachen anerkennt und die entsprechende Konsequenzen daraus zieht.

Danneels: Wollen Sie, dass das bekannt gemacht wird, eigentlich?

Mark Vangheluwe: Äh, das überlasse ich Euch.

Danneels: Eigentlich… Monseigneur wird nächstes Jahr seinen Rücktritt einreichen, eigentlich wäre es besser, wenn Sie warten.

Schon ist es heraus: Danneels will verhindern, dass es vor der Emeritierung seines Amtsbruders einen Skandal gibt.

Mark Vangheluwe: Nein, nein, nein.

Danneels: Wenn Sie das jetzt machen, wird es Spekulationen geben…

Mark Vangheluwe: Das ist in Ordnung, dann liegt es in eurer Verantwortung, diese Spekulationen aufzulösen.

Danneels: Aber das können wir nicht auflösen.

Mark Vangheluwe: Dann kann ich es auch nicht auflösen, ich übergebe die Sache dann lieber Euch.

Danneels: Nun, ich würde meinen, dass es vielleicht besser ist, ein Datum nach dem nächsten Jahr abzuwarten, wo er wahrscheinlich emeritieren wird.

Mark Vangheluwe: Nein, damit bin ich nicht einverstanden, und in aller Glorie Abschied nehmen, nein, das kann ich nicht. Oder ist es so, dass Ihr meint, dass wieder die Vertuschungstechnik gebraucht werden muss, wie Ihr das schon so viele Jahre tut? Dann muss ich lernen, damit zu leben, aber äh…

Danneels: Aber ich habe keine Autorität über Monseigneur Vangheluwe.

Mark Vangheluwe: Und wer hat die?

Danneels: Eigentlich niemand, außer der Papst. 

Mark Vangheluwe: Na gut, ich habe darum gebeten, mit seinem Arbeitgeber zu sprechen, und ich habe nicht gesagt, wer das sein muss. Ich habe auch den Papst erwähnt.

Danneels: Jetzt habe ich nichts mehr zu sagen, ich bin abgetreten.

Danneels startet ein Ausweichmanöver. Eigentlich ist er nicht zuständig, kann gar nichts entscheiden, ist ja auch schon im Ruhestand.

Mark Vangheluwe: Ah ja, was tue ich hier denn eigentlich? Dann müssen wir vielleicht besser einen Termin mit dem Papst machen.

Danneels: Oder mit dem neuen Erzbischof.

Mark Vangheluwe: Ich weiß es nicht. Sie sagen, dass der Papst sein Chef ist, dann müssen wir zu ihm gehen und nicht zum Erzbischof.

Danneels: Wir haben keine Autorität über die anderen Bischöfe, wir sind allein. Eigener Chef.

Mark Vangheluwe: Dann ist es vielleicht über Sie möglich, dass Sie einen Termin mit dem Papst machen und wir dann dorthin gehen. Es sind nun 42 Jahre, dass ich darunter leide und ich will das nicht mehr, ich kann nicht mehr schweigen, ich kann das nicht, und ich will nicht, dass das alles so bleibt. Es hat einen viel zu großen Einfluss auf die Familie, auf alles, auf das Verhältnis zu meiner Frau, auf alles, ich habe keine Lust mehr auf dieses Leben und es hat immer noch so einen Einfluss, ich will das loswerden. Ich bin ich ein Alter gekommen, in dem ich frei durchs Leben gehen möchte.

Danneels: Eigentlich liegt die erste Verantwortung bei ihm, nicht bei seinen Oberen. 

Mark Vangheluwe: Ja gut, aber wenn er nichts tun will, was passiert dann?

Danneels: Was verlangen Sie denn denn von ihm? Dass er abtritt?

Mark Vangheluwe: Aber das muss er entscheiden, ich will es einfach nur melden, das ist es. Sie verlangen, dass ich etwas sage, das ich selbst nicht sagen kann. Ich kann das nicht. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Oder ich muss eine andere Art suchen, um das für mich abzuschließen. Und für heute habe ich verlagt, dass er öffentlich die Beichte vor der Familie spricht, dass er sagt: Ich habe diese Dinge getan. Während jeder dabei ist.

Danneels: Das wird er tun.

Mark Vangheluwe: Das hatte ich für heute erwartet, das können wir am besten direkt machen und dann sehen wir mal. Wenn nichts passiert, gehen wir zum Papst.

Danneels: Der Papst ist nicht zu einfach zu erreichen. 

Mark Vangheluwe: Aber das können Sie doch regeln, es ist doch wichtig genug, denke ich, das an höherer Stelle zu melden. Oder wollen Sie es so lassen, wie es ist? Das ist warscheinlich die Absicht…

Danneels: Ich habe da nichts mit zu tun.

Mark Vangheluwe: Dann frage ich mich, was Sie hier eigentlich machen. Ich hatte darum gebeten, seinen Oberen zu sprechen und scheinbar ist das nicht der Fall.

Mark Vangheluwe denkt noch ganz in der instutionellen Logik. Man muss sich doch irgendwo beschweren können und jemand muss zuständig sein. Wenn das der Papst ist, dann muss man eben zum Papst. Es klingt wie ein Gespräch aus einem Kafka-Roman, wenn der Kardinal  sagt, der Papst sei halt "nicht einfach zu erreichen".

Danneels: Ich kann doch auch Rat geben.

Nachdem der Kardinal sich für institutionell nicht zuständig erklärt hat, zieht er die pastorale Karte. Wie sich sogleich zeigen wird, in manipulativer Absicht.

Mark Vangheluwe: Wenn ich auf meiner Arbeit etwas falsch mache, dann geht das auch an meinen Chef. Ich hatte gedacht, das hier auf die gleiche Weise zu tun.

Danneels: Eigentlich ist es er, der verantwortlich für eine Sache ist, die eigentlich nicht gut ist.

Mark Vangheluwe: Was denken Sie darüber?

Danneels: Dass es nicht sein darf.

Mark Vangheluwe: Dass es nicht sein darf und dass es nicht sein kann, und dass er die Funktion nicht behalten kann, das denke ich doch, das müsste doch eigentlich die normalste Reaktion sein. Wie kann er noch so scheinheilig durchs Leben gehen?

Danneels: Das müssen Sie ihn fragen.

Mark Vangheluwe: Aber ich frage Sie um Rat.

Dannels: Ach ja, man kann auch um Vergebung bitten, ne, und seine Schuld bekennen.

Mark Vangheluwe: Wen muss ich denn um Vergebung bitten? Ich muss doch nicht um Vergebung bitten!

Danneels: Stimmt, er kann das tun.

Dass Opfer, dass Gerechtigkeit will, wird aufgefordert, mit dem Täter barmherzig zu sein und ihm zu vergeben. Das Ziel dieses Ratschlags ist natürlich nur, den öffentlichen Skandal zu vermeiden.

Mark Vangheluwe: Und damit soll die Sache dann abgeschlossen sein.

Danneels: Ich weiß nicht, ob Sie sich damit einen Gefallen tun, das an die große Glocke zu hängen, weder sich selbst noch ihm.

Danneels droht dem Opfer. Ist die Sache einmal in der Öffentlichkeit, wird es auch für ihn peinlich.

Mark Vangheluwe: Ich glaube immer noch, dass die Opfer ihre Privatsphäre haben, es müssen ja keine Namen genannt werden.

Danneels: Naja, so bringen Sie ihn in eine schwierige Lage.

Mark Vangheluwe: Ich befinde mich schon mein ganzes Leben in einer schwierigen Lage. Ich habe nicht vor, noch Mitleid zu haben, ich will den Kampf zuende bringen, es muss für mich erledigt sein, dass ich endlich mal ins reine komme mit mir selbst, dass ich tue, was ich tun muss. Ich war auf einer katholischen Schule und bin katholisch erzogen worden. Ich sehe diese ganze Institution wanken, ich lese auch die Zeitungen, ich finde also, dass ich die Pflicht habe, das zu tun. Wie kann ich meine Kinder dazu bringen, etwas zu glauben – mit so einem Hintergrund, das geht doch nicht, dann schiebt man es einfach an die nächste Generation weiter. Und alles bleibt so, wie es ist. Das ist doch nicht der Sinn der Kirche.

Daneels: Nein, es ist doch nicht der Sinn, jemanden in Miskredit zu bringen?

Mark Vangheluwe: Nennen Sie mir eine andere Lösung. Ich soll vergeben, und dann ist es erledigt.

Danneels: Nein, nein, nein.

Mark Vangheluwe: Und er macht einfach weiter.

Danneels: Man kann doch auch sagen, er legt nächtes Jahr sein Amt nieder, und dass er dann zum Beispiel sagt, schau, ich trete nicht mehr im Fernsehen auf, und so. Solche Sachen, nach einem Jahr.

Mark Vangheluwe: Nein. Ich möchte es in eure Hände legen, und ihr entscheidet dann.

Danneels: Sie können uns festnageln und erpressen, und sagen: Sie müssen was tun.

Mark Vangheluwe: Wie bitte?

Danneels: Sie können erpressen und sagen, wenn Sie nicht sagen…

Mark Vangheluwe: Warum sollte ich jemanden epressen? Ich werde niemanden epressen.

Danneels: Gut, wenn Sie zum Beispiel sagen, es passiert nichts, und machen es dann öffentlich…

Der Kardinal wirft dem Opfer vor, ein Erpresser zu sein.

Mark Vangheluwe: Dann lassen Sie mir diese einzige Chance. Jetzt gebe ich Euch als Kirche noch die Chance, etwas zu tun, weil ich selbst nicht in der Lage bin, diese Entscheidung zu treffen und weil es eigentlich klar ist, dass es eine deutliche Antwort braucht. Darum übergebe ich die Sache der Institution, die doch irgendjemanden haben muss, der das regelt, solche Sachen. Das sind doch nicht die ersten Dinge, die rauskommen, ich meine doch, dass es dafür etwas geben muss, eine Stelle, die das aufnimmt und da etwas mit macht. Wir wurden gezwungen, vor ihm zu heiraten, die Kinder wurden von ihm getauft, wie soll ich denen das erklären? Ich habe gestern meinem ältesten Sohn gesagt: Schau, das ist mit mir passiert. Sie müssen doch wissen, was passiert ist? Das kommt doch raus, das geht doch so nicht weiter, und dann warten, bis alles erledigt ist, das ist doch keine Lösung.

Danneels: Ah! Wir können auch, wie ich gesagt habe, um Vergebung bitten und selbst vergeben, das ist auch noch eine Möglichkeit.

Mark Vangheluwe: Das ist für mich nicht möglich, daran glaube ich nicht mehr, wenn Sie all diese Dinge sagen, das kann doch nicht sein.

Danneels: Das ist schon oft in der Geschichte passiert, nicht nur in der Kirche, später auch. Es ist schlimm und bleibt schlimm, es verändert sich nicht, aber, äh, ja, sieh mal, wenn man aufrichtig um Vergebung bittet, dann tragen wir das alle beide, das ist auch eine Möglichkeit, oder?

Mark Vangheluwe: Das wäre natürlich für Euch das einfachste.

Danneels: Oh, ich weiß nicht, ob das so einfach ist. Es ist nicht so einfach, öffentlich um Vergebung zu bitten, das ist nicht so einfach, nicht wahr.

Mark Vangheluwe: Ich finde das auch nicht einfach.

Danneels: Es ist nicht so einfach.

Mark Vangheluwe: Ich muss das auch gegenüber den Familienmitgliedern tun.

Danneels: Wollen Sie vielleicht, dass wir ihn absetzen?

Mark Vangheluwe: Ah ja, natürlich.

Danneels zwingt Mark Vangheluwe, doch eine Forderung auszusprechen, allerdings nur, um ihm anschließend vor Augen zu führen, welch unangenehme Konsequenzen dies für den Täter hätte.

Daneels: Das ist nicht so einfach.

Mark Vangheluwe: Das weiß ich nicht. Natürlich will ich das. Das ist doch logisch. Wenn ich betrunken einen Unfall baue, werde ich auch bestraft.

Danneels: Eine Strafe muss strafen. Es gibt Strafen, die öffentlich sind, und Strafen, die privat sind, das ist ein großer Unterschied. Dein Name kommt an die Öffentlichkeit, wird durch den Dreck gezogen.

Mark Vangheluwe: Mein Name?

Danneels: Sein Name.

Mark Vangheluwe: Er hat mich auch ein ganzes Leben lang durch den Dreck gezogen. Von meinem fünften bis zu meinem 18. Lebensjahr. Können Sie sich das vorstellen?

Danneels: Ja, das kann ich mir vorstellen, das ist schlimm.

Mark Vangheluwe: Sie können es sich nicht vorstellen, da bin ich mir sicher.

Danneels: Also um Vergebung bitten, ist nicht genug? Wenn Sie einverstanden sind, können sie sagen, was sie wollen. Wenn Sie sagen, ich vergebe…

Mark Vangheluwe: Ich denke, dass das nicht ausreicht.

Danneels: Aber es ist schon erniedrigend, das zu tun.

Mark Vangheluwe: Für mich was es auch erniedrigend.

Danneels: Ich sage nicht, dass es nicht wahr ist.

Mark Vangheluwe: Ich musste das auch alles durchstehen. Es ist für ihn auch die einzige und aufrechteste und einfachste Art, auf eine gute Weise zu sterben, dass er die Verantwortung übernimmt. Es wird dann auch für ihn viel einfacher sein. Und dafür muss man in der Tat durch den Dreck gehen, muss da überall durch, und dann kommt man ins Reine mit sich selbst.

Danneels: Das ist doch schwer, was da verlangt wird. Es ist hart zu sagen: Du musst öffentlich vor allen erniedrigt werden.

Mark Vangheluwe: Das muss er ja nicht. Er muss einfach aufhören.

Danneels: Ah ja, aber das ist ja gerade die Erniedrigung, dass er aufhören muss.

Mark Vangheluwe: Jaja.

Danneels: Dann werden die Leute sagen: Warum hört er auf? So, sie werden es dann schon herausfinden, nicht war, warum hört er auf? Dann finden sie es heraus. Das ist doch hart.

Mark Vangheluwe: Aber warum haben Sie so ein Mitleid mit ihm und nicht mit mir?

Mark Vangheluwe spricht das Offensichtliche aus. Der Kardinal zeigt über das gesamte Gespräch nur Empathie mit dem Täter, nicht aber mit dem Opfer.

Danneels: Das habe ich nicht gesagt.

Mark Vangheluwe: Sie versuchen die ganze Zeit, ihn zu verteidigen. Ich dachte, dass ich etwas Unterstützung erfahren würde, ich muss hier sitzen und mich verteidigen gegen Dinge, für die ich nichts kann.

Danneels: Nein, ich sage nicht, dass Sie dafür etwas können, es muss etwas anderes getan werden.

Mark Vangheluwe: Aber was muss getan werden?

Danneels: In jedem Fall um Vergebung bitten.

Mark Vangheluwe: Und damit ist es erledigt, für Sie.

Danneels: Wenn Sie sagen…

Mark Vangheluwe: Warum bin ich dann hier? Das hätte er schon viel früher tun können, dann wäre das nicht nötig. Mein Vater hat ihn schon informiert, als ich 18 war. Jetzt sind 25 Jahre vergangen und er hat noch nie um Vergebung gebeten. Warum war das nicht früher möglich? Dann wäre es vielleicht nie so weit gekommen. Nein, ich möchte nicht, dass er in Glanz und Gloria einfach von der Bühne verschwindet und es damit getan ist. Er hat nie die Verantwortung übernehmen wollen und es wünsche, dass Ihr jetzt Eure Verantwortung als Obere übernehmt. Das ist meine Absicht.

Danneels: Ja, ich kann nichts Böses tun, denn ich trage keine (Verantwortung).

Mark Vangheluwe: Ah ja, dann müssen wir nicht weiterreden. Dann hören wir besser auf. Dann muss ich mit Ihnen nicht reden, denn Sie können ja doch nichts tun.

Danneels: Nein, nicht direkt, eigentlich. Nein, nein, Sie verlangen von mir das Maximum…

Zweites Gespräch im Beisein der Familie

Roger Vangheluwe: Du hast mich also gebeten, dass ich hier deutlich sagen soll, wie sehr ich fehlgegangen bin, indem ich Mark sexuell missbraucht habe, von da an, wo er 5 oder 6 war, denke ich, bis er ungefähr 18 war. Irgendwann, wenn wir uns sahen, ob bei Euch oder bei uns. Dass ich dann irgendwann mit Mark, äh, Handlungen vollzogen habe, die nicht gehen. Und dass ich, ja, äh, das all die Jahre getan habe. Dass ich heute viel mehr als damals, damals war mir das nicht klar… Dass ich heute deutlich sehe, wie schrecklich verkehrt ich damit gehandelt habe und wie schwer die Folgen für Mark und für Euch alle waren, davon, was damals passiert ist. Und dass ich tun will, was ich kann, um das ein bisschen zu beheben. Aber ja…. Ich bin bereit zu allem, was Ihr verlangt. Und natürlich, ich verlange nicht mehr, als dass Du, nach allem, was ich getan habe und was geschehen ist, dass Du ein bisschen… Dass ich noch etwas daran tun kann.

Bischof Vangheluwe kommt der Forderung nach, seine Schuld einzugestehen. Nun führen er und Danneels vor der Familie ein kleines, zerknirschtes Theaterstück auf.

Danneels: Ja, nun, äh, tut es Dir leid und bittest Du um Vergebung? Oder äh…

Roger Vangheluwe: Es tut mir schrecklich leid und ich habe Mark um Vergebung gebeten. Wenn man das vergeben kann. Ich weiß, dass das, worum ich nun bitte, sehr schwer ist. Aber ich bitte wirklich aufrichtig darum. Mögest Du mir vergeben, denn ich kann mir selbst nicht vergeben. Ja, es tut mir sehr leid, dass ich so viele Leben zerstört habe.

Danneels: Ja, das ist nicht nichts. Das sind schlimme Tatsachen, nicht wahr, Roger? Es ist schlimm, nicht wahr. Allez, Du musst sehen, dass das nicht normal ist, so. Ich finde, dass Du das deutlich sagen musst. Das ist kein Fehlerchen. Das ist ein ernsthafter Fehler gewesen und ich glaube auch persönlich, dass das ein ernster Fehler gewesen ist. Ach ja, was kann man hier anderes tun als zu sagen: Schau, es tut mir leid. Du musst versuchen, so viel wie möglich wiedergutzumachen, aber das lässt sich niemals ganz wiedergutmachen. Damit musst Du rechnen: Das lässt sich nicht wieder ganz gradebiegen. Ja, und wenn ich dich so sehe, dann leidest Du auch darunter. Nicht nur Mark, Du auch.

Hier fällt die minimalisierende und abstrahierende Sprache auf, die Danneels für die Taten findet. Der Missbrauch ist "nicht normal", ein "ernster Fehler". Keine Rede von Sünde, von Schuld, von Buße, Sühne und Wiedergutmachung.

Roger Vangheluwe: Ich bin froh, dass ich da mal drüber sprechen kann. Auch für mich ist das ein Stück weit Befreiung. Ich kann da mit niemandem drüber sprechen, Ihr miteinander immerhin noch ein bisschen. Es sind schon zwanzig Jahre, dass ich das mit mir herumtrage. Immer wieder neu. Und seit Jahren suche ich nach Lösungen – gute und weniger gute. Wie kann ich das tun? Ich frage mich, wie ich davon loskommen kann, und was ich tun kann, ohne Euch noch mehr Schaden zuzufügen.

Danneels: Ja, das ist nicht einfach.

Familie: Das ist unauflösbar.

Danneels: Wir müssen ein bisschen schauen, was da eventuell noch getan werden kann, aber es ist eigentlich schon sehr ernsthaft, dass er jetzt deutlich sagt: Schau, es ist eine schlimme Sache, und ich bitte ausdrücklich um Vergebung dafür. Das ist ein ernsthafter Schritt. Es ist vielleicht gut, dass vor der ganzen Familie zu tun, sodass jeder es gehört hat.

Familienmitglied: Du hast unsere Familie auseinandergerissen.

Vangheluwe: Ja, ich habe die ganze Familie kaputtgemacht, das ist schlimm.

Danneels: Ja, das ist schlimm. Na, Mark, was meinen Sie?

Hier endet das Theaterstück. In seinem Buch wird Mark Vangheluwe später über Danneels schreiben: 

"Er schien gefühllos und unecht, als ob er aus Plastik wäre." - "Er versuchte, mich glauben zu lassen, dass es eigentlich kein Problem gäbe und ich nur ein bisschen Geduld haben müsste. Alles würde dann schon gut werden. Es wäre viel besser, zu schweigen, weg zu gehen und etwas Nützliches zu tun, als stundenlang darüber zu reden, was nun alles passieren müsste. Keine 'große Glocke' also, nicht abtreten, alles weiter vertuschen." - "Ich fühlte mich während des Gesprächs mit dem Kardinal alles andere als wohl, denn der Mann schüchterte mich ein und machte sich als waschechter Manipulator zum Herren über mich. Dadurch erlebte ich eine Art Flashback und fiel in die alte Gewohnheit der Untertänigkeit zurück. Ich, der dachte, stark genug zu sein, um den Kampf aufzunehmen, saß dem Kardinal gegenüber wie ein kleines Kind und suchte nach einfachen Worten, um deutlich zu machen, dass mit jemand dreizehn Jahre am Stück sexuell missbraucht hatte. Der schlaue Hund war in meinen Augen nicht vertrauenswürdig und aalglatt und wandt sich durch das Gespräch, als ob ihm das alles völlig egal wäre."

Wenige Tage später meldete sich Mark Vangheluwe bei der belgischen Missbrauchskommission. 
 
Papst Franziskus ernannte Godfried Danneels 2014 zum Mitglied der Außerordentlichen Bischofsynode über die "Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung" und 2015 zum Mitglied der Ordentlichen Bischofssynode über "Die Berufung und Mission der Familie in der Kirche in der modernen Welt".

Montag, 20. August 2018

Zeitgeist von Gestern

Demnächst mit Kittelschürze?
Maria braucht ein neues Kleid. Anlässlich des vierzigjährigen Jubiläums der Aufnahme des Aachener Doms in die Welterbeliste der UNESCO hat das Domkapitel einen Künstlerwettbewerb ausgelobt. Wie viele Gnadenbilder, so wird auch die Aachener Madonna im Laufe des Jahres rund sechszehn mal umgezogen: Sie erhält jeweils zu Festen und Kirchenjahr passende Gewänder. Das Bekleiden von Bildern ist in Europa seit dem Hochmittelalter üblich. 43 Kleider, dazu Ketten, Kronen und Broschen hat man in Aachen im Fundus. Die älteste Textilie in Aachen stammt aus dem 17. Jahrhundert. Doch nun soll etwas Neues her. In der Wettbewerbsausschreibung heißt es: „Anders als bei den bisherigen Gewändern soll es sich nicht um ein Festtagsgewand handeln. Maria als Frau aus dem Volk ist für viele Gläubige Identifikationsfigur und Vermittlerin zwischen Gott und den Menschen. Sie soll aus ihrer herrscherlichen Sphäre, in die sie mit ihren kostbaren Gewändern, Kronen, Zeptern und Schmuckstücken gehoben ist, herausgenommen und als Mensch und Gegenüber gezeigt werden.“
Vor allem durch eine eher locker-banale Fernsehberichterstattung des Westdeutschen Rundfunks aufgeschreckt, begannen einige Herrschaften aus Aachen, Unterschriften gegen die Ausschreibung zu sammeln. Sie fürchten, dass die im Dom verehrte „Kaiserin von Aachen“ durch das Vorhaben „herabgesetzt, verballhornt, sexualisiert und verunglimpft“ werden könnte. Doch dass Maria zukünfig mit bauchfreiem Oberteil oder in Badekleidung zu sehen sein könnte, wie der WDR-Beitrag nahelegt und die Unterschriftensammler befürchten, lässt sich ausschließen. Denn die 1656 geschnitzte spätgotische Marienfigur besitzt ein bodenlanges Gewand mit schwungvollem Faltenwurf. In Südeuropa befindet sich unter den bekleideten Heiligenfiguren oft nur ein Gestell aus Holz oder Metall. Die Figur hat keinen Körper. Eine Enthüllung würde nur die dahinter befindliche Leere offenbaren. In Aachen käme unter dem Gewand ein neues Gewand zum Vorschein.
Das Problem bei der Aachener Ausschreibung ist ein anderes. Mit der Formulierung „Frau aus dem Volk“ offenbaren die Verantwortlichen etwas von ihrem geistigen Hintergrund. Für das Gebet- und Gesangbuch „Gotteslob“ dichtete Friedrich Dörr 1972 ein barockes Marienlied um: „Maria zu lieben ist allzeit mein Sinn“. Als dritte Strophe seiner Neufassung reimte Dörr damals: „Du Frau aus dem Volke, von Gott ausersehn, dem Heiland auf Erden zur Seite zu stehn, kennst Arbeit und Sorge ums tägliche Brot, die Mühsal des Lebens in Armut und Not.“ Aus der innig geliebten himmlischen Jungfrau des Barockliedes wurde Maria, die Hausfrau, die sich die Hände an der Kittelschürze abwischt und dem Heiland rasch noch ein Butterbrot für die Arbeit schmiert. Das war schon Anfang der Siebzigerjahre altmodisch. Und nun, fast fünfzig Jahre später, soll Maria wieder einmal vom Sockel gehoben werden, damit man sie endlich als „Mensch und Gegenüber“ wahrnehmen kann. Ein „modernes Gewand für den Alltag“ soll es laut der Ausschreibung sein. Nichts deutet darauf hin, dass die Domherren hier etwas im Sinn hatten, das sexy ist (auch wenn sexyness heute ziemlich alltäglich ist). Aber woher weiß man eigentlich, dass diejenigen, die im goldenen Halbdunkel des Doms ihr Kerzchen anzünden, die Muttergottes lieber „alltäglich“ sehen wollen? Maria – eine von uns? Warum sollte man vor einer von uns Kerzen anzünden? Außerdem sind Schmuck und kostbare Gewänder gerade ziemlich modern. Der kirchliche Prunk vergangener Jahrhunderte inspiriert Modedesigner zu irren Kreationen, wie sie dieses Jahr etwa bei der „Met Gala“ im New Yorker Museum of Art zu sehen waren. Popstar Rihanna trug ein über und über mit Edelsteinen besetzes Outfit, entworfen von John Galliano, das an die Gewänder eines Papstes erinnerte – inklusive Mitra.
Kleidung ist Kommunikation. Vor dem Hintergrund der Feudalgesellschaft weist die prächtige Tracht der Aachener Madonna sie als Herrscherin aus. Wie ein Blick in die „Gala“ oder die „Bunte“ beweist, verstehen aber auch Bürger liberaler Demokratien diese Symbolik. Die Gewänder sind darüber hinaus an die Farben des liturgischen Jahres und seiner Feste angelehnt und gemahnen damit auch an sakrale Kleidung und ihre reichhaltige Symbolik. Und schließlich symbolisieren die Gewänder Mariens auch das "Gnadenkleid" derjenigen, die "voll der Gnaden" ist (mehr dazu in der nächsten Herder Korrespondenz). Maria in Alltagskleidung: Das ist Zeitgeist von Gestern.

Mittwoch, 27. Juni 2018

"F"

Gestern hat der Präfekt der Glaubenskongregation mit der Presse gesprochen, soweit ich sehe, das erste Mal überhaupt, seit er im Amt ist. Darin sagte er über die von den deutschen Bischöfen geplante Handreichung über "Konfessionsverbindende Ehen und gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie" und seinen von Papst Franziskus ("F") abgezeichneten Brief in dieser Angelegenheit, der vor einiger Zeit an die Öffentlichkeit gelangt ist: "Wenn jemand hier seinen eigenen Weg geht, riskieren wir, etwas Verwirrung zu schaffen." Es gelte darum, eine Lösung für die ganze Kirche zu finden. Ergo: Die Sache soll in Rom entschieden werden.
Heute veröffentlicht die Deutsche Bischofskonferenz eine "Note von Kardinal Reinhard Marx an den Heiligen Vater vom 12. Juni 2018", die ebenfalls von Papst Franziskus abgezeichnet wurde ("F"). Darin lässt sich Marx vom Papst bestätigen, dass der Ladaria-Brief "einige Hinweise und einen Interpretationsrahmen" vorgebe, aber "keine Anweisungen für das Handeln der Bischofskonferenz" beinhalte. Ladaria hatte unter anderem geschriebenen, die Handreichung sei "nicht reif" für eine Veröffentlichung. In der Note von Kardinal Marx heißt es nun, der Text könne "eine Orientierungshilfe und ein Studientext sein für die Bischöfe, die in ihren Diözesen Kriterien im Sinne des can 844 CIC erarbeiten" und dürfe darum auch "bekannt gemacht" werden.
Der Vorgang stellt einen Gesichtsverlust des Präfekten der Glaubenskongregation dar.

PS: Was bedeutet das "technisch"? Die Handreichung ist nun veröffentlicht worden, hat aber keine Verbindlichkeit. Die einzelnen Diözesanbischöfe können, so wie es das Kirchenrecht vorsieht, Partikularnormen zu can. 844 § 4 CIC erarbeiten (d.h. sie können festlegen, was in ihrer Diözese eine "schwere Notlage" ist, unter deren Bedingung ein Kommunionempfang von Nichtkatholiken möglich ist) und, wenn sie wollen, dafür die Handreichung als "Orientierungshilfe" benutzt. Diese Partikularnormen bedürfen laut can. 455 § 2 allerdings wiederum einer Rekognoszierung des Apostolischen Stuhls. Wie und nach welchen Kriterien wird dann in Rom entschieden werden?

"Wer möchte schon den traurigen Clown in der öffentlichen Meinung spielen?"

"Ich sehe es also durchaus nicht als Zeitverlust und Zumutung an, mich den Fragen und Zweifeln nach dem Sinn Deines Priestertums zu stellen in einer Welt, in der nicht wenige so leben 'als ob es Gott nicht gäbe'. Diese Leute halten uns für tragikomische Figuren, von denen man nicht weiß, ob man mehr über sie lachen oder weinen soll. Und es ist nicht angenehm, von verstohlenen und grinsenden Blicken als ein Mann aus einer vergangenen Welt gemustert zu werden. Wer möchte schon den traurigen Clown in der öffentlichen Meinung spielen?"
Kardinal Gerhard Ludwig Müller
Das schreibt Kardinal Müller in seinem Buch "Ihr sollte ein Segen sein. 12 Briefe über das Priestertum", das Mitte Juli bei Herder erscheint, aber schon gestern Abend in Rom, in der Bibliothek des Päpstlichen Institutes Santa Maria dell'Anima, vorgestellt wurde. Die Präsentation übernahmen Christian Schaller vom Regensburger Institut Papst Benedikt XVI., der Müllers theologischer Referent in dessen Zeit als Bischof von Regensburg war, sowie Karl-Heinz Menke, emeritierter Dogmatikprofessor aus Bonn und Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission. Die Kommission hatte am Tag zuvor die Arbeiten an der Studie über das Frauendiakonat fertiggestellt, die nun dem Papst vorgelegt wird - veröffentlicht werden soll das Papier nicht. Doch Debatten wie die um die Zulassung von Frauen zum Weihesakrament oder das Zölibat spielten gestern keine Rolle. Müllers Buch ist keine theologische Auseinandersetzung mit aktuell strittigen Fragen, sondern will eine "Ermutigung" sein:
"In dieser Stunde der Welt- und Kirchengeschichte suchen die meisten Priester aber nicht zuerst eine theologische Belehrung über Ursprung und Wesen, Aufgaben und Funktionen des Priestertums. Was sie schmerzlich vermissen, ist eine geistliche Ermutigung inmitten aller Belastungen der alltäglichen Hirtensorge in unüberschaubaren Seelsorgeräumen und noch mehr der globalen Bestreitung der Möglichkeit, die Wahrheit zu erkennen und ihrer zu seinem Heil zu bedürfen."
Christian Schaller und Karl-Heinz Menke
Das Buch ist in Form von Briefen verfasst, der Leser wird mit "Du" angesprochen, und oft scheinen mit diesem "Du" vor allem die Priester selbst gemeint zu sein. Ausdrücklich richten sich die Briefe aber auch an alle "Mitchristen".
Es handelt sich, wie gesagt, um ein geistliches Buch, keine theologische Abhandlung. Der zwölfte Brief beinhaltet jedoch eine nachdrückliche Empfehlung an die Priester, sich theologisch weiterzubilden:
"Ein eifriger Priester ist bemüht, seinen Wissenstand und Problemhorizont auf dem Laufenden zu halten. (…) Ohne eine profunde Theologie kann ein Priester heute seine Aufgaben nicht erfüllen."
In diesem Sinne, liebe Geistliche: Werfen Sie doch mal einen Blick in das Verlagsprogramm Religion und Theologie...