Dienstag, 31. Oktober 2017

Happy Halloween

"Sacro Cuore del Suffragio"
Im Internet tobt der Kulturkampf. Auf meiner Facebook-Timeline finde ich durchgestrichene Kürbisse. Und auf katholisch.de heißt es: "Kirche warnt eindringlich vor Halloween". Zitiert wird der Sprecher der polnischen Bischofkonferenz. Dieser stellt fest, Halloween führe zu "Albträumen mit Gespenstern". Und überhaupt handle es sich um einen "heidnischen Brauch".
Dabei stimmt das gar nicht. Denn Halloween hat mit dem Glauben an die Armen Seelen zu tun, der im katholischen Europa noch vor gar nicht langer Zeit weit verbreitet war. Dieser Glaube hing mit der Lehre vom Fegefeuer zusammen: Die Seele wird nach dem Tod noch eine Zeit lang geläutert, bevor sie in die himmlische Seligkeit gelangt. Damit verband sich im Volksglauben die Überzeugung, die noch nicht ganz erlösten Seelen der Verstorbenen könnten den Lebenden erscheinen und sie erschrecken. An Allerheiligen und Allerseelen, wo die Kirche der Toten gedenkt, war natürlich der bevorzugte Termin, an dem sich auch die Armen Seelen bei den Hinterbliebenen meldeten. Noch vor 80 Jahren ließ man in Bayern an diesen Tagen für die Verstorbenen etwas zu Essen übrig und steckte ein Licht an, um ihnen die Orientierung zu erleichtern. Auswanderer aus Irland, aber auch aus anderen katholischen Gegenden Europas, nahmen solche Bräuche mit in die Neue Welt. Was im Land des Kapitalismus damit geschah, wissen wir.
Brandabdruck der Hand einer Armen Seele
Hier in Rom gibt es einen kuriosen Ort, an dem Zeugnisse des Arme-Seelen-Glaubens besichtigt werden können. Vor einigen Jahren hatte ich darüber in der Zeitung gelesen. Heute Nachmittag bin ich hingefahren. Am Tiberufer im Stadtteil Prati steht die Kirche "Sacro Cuore del Suffragio", die an sich schon sehenswert ist, weil sie in einem Stil gebaut ist, der sonst in Rom kaum vorkommt: der Neogotik. Geweiht wurde sie vor morgen genau 100 Jahren, am Allerheiligentag 1917. Ein französischer Priester, Victor Jouet, hatte Ende des 19. Jahrhunderts in Rom die "Vereinigung vom heiligsten Herzen Jesu zur Fürbitte für die armen Seelen im Fegefeuer" gegründet und begonnen, eine Kirche zu bauen. Während der Bauarbeiten brauch ein Feuer aus. Als der Brand gelöscht war, blieb auf einem Pfeiler etwas sichtbar, das Jouet als Umriss eines traurigen Gesichts deutete: die Manifestation einer Armen Seele! Daraufhin machte sich Jouet in Europa auf die Suche nach ähnlichen Phänomenen und stellte so eine Sammlung verschiedener Objekte zusammen, für die er neben der Kirche ein Fegefeuer-Museum einrichtete. Die Sammlung ist später stark reduziert worden, sodass es heute in einem Nebenraum der Sakristei nur noch eine kleine Vitrine zu sehen gibt. Darin: Gegenstände, auf denen die Armen Seelen mit ihren Fingern Brandabdrücke hinterlassen haben: Gebetbücher, Tischplatten, aber auch eine Nachtmütze.
Darunter ist ein deutschsprachiges Gebetbuch, passenderweise beim Messformular "für die Abgestorbenen" aufgeschlagen. Auf dem ausliegenden Informationsblatt heißt es dazu: "Ein Brandabdruck, den der verstorbene Josef Schitz hinterließ, indem er mit den 5 Fingern der rechten Hand das Gebetbuch seines Bruders Georg am 21. Dez. 1838 in Stralbe berührte. Der Verstorbene bat um Gebete für seine Seelenruhe und um Wiedergutmachung seiner Gleichgültigkeit im religiösen Leben."
In diesem Sinne: Happy Halloween.

Mittwoch, 25. Oktober 2017

Konzerte in Rom

Einmal im Jahr organsiert die Stiftung "Pro Musica e Arte Sacra" in Rom ein Musikfestival. Die Stiftung wurde vom Reiseunternehmer Hans-Albert Courtial gegründet und finanziert zahlreiche Restaurierungsprojekte in römischen Kirchen. Regelmäßig sind bei den herbstlichen Festivals auch die Wiener Philharmoniker zu Gast. Die Konzerte finden in römischen Kirchen statt.
In diesem Jahr gibt es Musik von Mozart, Haydn und Bruckner, aber auch von Komponisten der Reformation: Heinrich Schütz, Michael Praetorius und Samuel Scheidt. Das Festival beginnt am 4. November 2017 und geht bis zum 10. November 2017. Hier ist das vollständige Programm. Der Eintritt zu den Konzerten ist frei, man muss aber im Internet einen Platz reservieren, um teilnehmen zu können.

Montag, 16. Oktober 2017

Liturgie: Schluss mit den Erklärungen!

Gerade ist der Band "Liturgie und Glaube" erschienen, den ich zusammen mit dem Stephan Wahle beim Deutschen Liturgischen Institut herausgegeben habe. Darin geht es um die Frage: Der Gottesdienst der katholischen Kirche und die persönlichen Glaubensüberzeugungen - wie geht das eigentlich noch zusammen?
Die Liturgie ist vielfach der einzige Ort, an dem Menschen heute mit dem Christentum und seiner Lehre in Berührung kommen. Das wissen auch viele Geistliche - und nutzen deshalb bei Taufen, Hochzeiten, Firmungen und auch im Sonntagsgottesdienst jede Gelegenheit, das, was gerade geschieht, zu erklären und plausibel zu machen. Der Liturgiewissenschaft und Augustinerbruder Christian Rentsch schreibt dazu in seinem Beitrag für unseren Band:
"Die Liturgie selbst hat eine persuasive Strategie, die freilich völlig anders gelagert ist als die der Plausibilisierung. Sie will den Glauben der Gläubigen stärken, indem sie sie den Glauben praktizieren lässt. Das primäre Mittel der Integration der Gemeinde in die Liturgie und ihre Ordnung ist hier nicht die argumentative Rede zur Gemeinde, sondern der Vollzug der Liturgie durch die Gemeinde selbst."
Ich glaube, Christian Rentsch hat recht. Nur scheint das völlig der Intuition der meisten Geistlichen entgegenzustehen. Man traut dem Ritual einfach nicht. Stattdessen baut man Erklärungen ein, versucht sich oft auch an Anpassungen und Vereinfachungen, die aber meist das Gegenteil von dem erreichen, was sie beabsichtigen. Der Religionswissenschaftler Johann Evangelist Hafner hat mir in einem Interview für "Gottesdienst" einmal gesagt:
"Rituale wollen gerade nicht erklärt werden, sondern Rituale unterliegen, religionswissenschaftlich gesehen, einem 'Latenzschutz'. Das heißt: Etwas gilt gerade deshalb, weil es nicht erklärt wird. Das ist der Fall bei wichtigen Gesten, die wir in ganz basalen Zusammenhängen verwenden, etwa in der Liebe. Wenn wir jemanden mögen, dann ist es geradezu kontraintentional, zu sagen: 'Liebst du mich auch?'. Wer das zu oft macht, der erreicht das Gegenteil, nämlich dass der Partner argwöhnisch wird. Die Liebe vollzieht sich vielmehr, wenn man Vertrautheit lebt, nicht indem man sie ständig thematisiert."
Das Buch geht auf die Trierer Sommerakademie 2016 zurück und enthält Beiträge von Michael N. Ebertz, Andreas Bieringer, Franz Karl Praßl und vielen weiteren Autoren. Man kann es beim Deutschen Liturgischen Institut bestellen.

Dienstag, 10. Oktober 2017

Zusammenbruch des Christentums?

Heute Abend trifft sich Prominenz aus Politik, Kirche und Medien zum Sankt Michaelsempfang in der katholischen Akademie in Berlin. Kardinal Marx nahm das zur Gelegenheit, die Bundespressekonferenz zu besuchen. Die Redaktion der Herder Korrespondenz befindet sich im selben Gebäude und wir diskutieren gerade über die Themen der nächsten Ausgaben. Die perfekte Gelegenheit also, mal hinunterzugehen und zu hören, was der DBK-Vorsitzende zu sagen hat.
Angesprochen auf die Kirchenstatistiken meinte Marx, man dürfe nicht die Maßstäbe der Vergangenheit an die Gegenwart anlegen. In einer offenen Gesellschaft könne die Kirche gar nicht den selben Stellenwert haben, wie sie ihn etwa in den Fünfzigerjahren gehabt hätte. Dann fiel die Spitzenaussage:
"Ich sehe keinerlei Anzeichen für einen Zusammenbruch des Christentums in unserem Land." 
In Bayern, so fuhr der Kardinal fort, gingen 100 Prozent der Getauften auch zur Erstkommunion; und 80 Prozent empfingen das Firmsakrament.