Montag, 29. Mai 2017

Die Apokalypse, Heavy Metal und die wilden Tiere im christlichen Zoo

Klaus Berger beim Vortrag
Der Vortrag, den Klaus Berger von einiger Zeit in Rom über die Apokalypse gehalten hat, fand großen Anklang. Viele Studenten und Professoren römischer Universitäten hatten sich eingefunden, dazu eine Reihe von kirchlichen und diplomatischen Würdenträger. Auch Verleger Manuel Herder war nach Rom gekommen. Am Vormittag hatten Berger und Herder Papst Emeritus Benedikt XVI. besucht und ihm Bergers zweibändigen Apokalypsekommentar überreicht. Nachmittags sprach Berger dann im Pontificium Institutum Biblicum, dem päpstlichen Bibelinstitut, wo Theologen aus aller Welt ein bibelwissenschaftliches Spezialstudium absolvieren.
Würdenträger hin oder her - Berger ließ sie wissen, dass die Apokalypse allen Formen weltlicher Macht nicht gerade mit Respekt begegnet - anders als Paulus, der im Römerbrief schreibt: "Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam" (13,1) - sondern eher mit Verachtung: Für die Apokalypse sind die irdischen Mächte Teufelszeug. Für all das steht in der Apokalypse "Rom" - und seine Zerstörung ist die "vorletzte Station der Weltgeschichte". Erst danach wird es lichtreich und friedlich:
"Die Kirche der Zukunft ist die der Offenbarung des Johannes. Also keine Summe von Seelchen im Nachthemd, keine Mischung aus Kindergarten und Krankenhaus, kein Zauberberg-Sanatorium wie bei Thomas Mann sondern wie eine Hochzeit im Mai oder Anfang September. Endlich Frieden, endlich keine nächtlichen Schreie. Keine 'German Angst'. Eine geschwisterliche, musikalische Kirche, denn: Wer singt, wird auferstehen."
Klaus Berger und Verleger Manuel Herder
Klaus Berger spannte einen weiten Bogen von den Edelsteinen der Himmelstadt und der Architektur le Corbusiers, über Adenauer und de Gaulle in der Kathedrale von Reims bis hin zu Joachim von Fiore. Auch mit den Apokalypse-Motiven in Hevy-Metal-Songs hat sich Berger beschäftigt:
"Gewiss, die Apokalyptik der Heavy Metal-Szene kommt ohne Gott und Christus, ohne Babylon, Jerusalem und Brautmystik aus, aber sie dokumentiert im Nachhinein den Wert und die Leistung der christlichen Apokalyptik: Diese hat für 1500 Jahre die wilden Tiere dieses Zoos gezähmt und gebändigt. Sie hat mit kräftigen Akzenten den Depressionen und Ängsten ein Hochzeitliches Mahl gegenüber gestellt."
Pater Bernd Hagenkord von Radio Vatikan hat seine Eindrücke des Vortrags hier aufgeschrieben. Und eine gekürzte Fassung des Vortrags lässt sich hier nachlesen. Den Kommentar kann man hier kaufen - er ist übrigens auch als E-Book zu haben.


Sonntag, 7. Mai 2017

Das zerstörte Rom

In der Johannesoffenbarung ist das zerstörte Rom die "vorletzte Station der Weltgeschichte", wie Klaus Berger sagt. Der Neutestamentler, der gerade einen über 1500-seitigen Kommentar zur Apokalypse des Johannes veröffentlicht hat, macht morgen Station in Rom, der vermeintlich ewigen Stadt, und hält am Päpstlichen Bibelinstitut einen Vortrag zum Thema: "Die Apokalypse des Johannes im Netzwerk frühchristlicher Theologien und im Leben der Kirche". Ewig ist natürlich in Wirklichkeit nur eine Stadt: Das himmlische Jerusalem.
Herzliche Einladung morgen, Montag, 8. Mai 2017 um 17.00 Uhr in das Pontificio Istituto Biblico, Piazza della Pilotta, 35.

Montag, 1. Mai 2017

Der barmherzige Blick

Das Bild vor seiner Segnung. Noch brennen keine Kerzen.
Mit seinem Werk "Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst" machte der Kunsthistoriker Hans Belting 1990 auf den fundamentalen Unterschied zwischen dem religiösen Bild und dem Kunstwerk aufmerksam. Das religiöse Bild ist strikt von seiner Funktion her zu sehen: Es verweist den Beter auf das, was es darstellt, es ist ein Hilfsmittel für die Verehrung von Heiligen und der Anbetung Gottes. Als solches spielt es auch seine Rolle in der Liturgie und der Frömmigkeitspraxis. Während religiöse Bilder also innerhalb eines bestimmten funktionalen Zusammenhangs stehen, befinden sich Kunstwerke gerade außerhalb dieses Zusammenhangs. Natürlich lässt sich aus einem religiösen Bild ein Kunstwerk machen - und zwar, indem man es aus seinem ursprünglichen Zusammenhang entfernt. Wer das Berliner Bode-Museum oder die Uffizien in Florenz besucht, sieht dort zahlreiche Bilder, die eigentlich "aus dem Zusammenhang gerissen" sind.
Es ist wahrscheinlich das wesentliche Kennzeichen der neuzeitlichen Kunst, dass hier die religiöse Funktion des Bildes ihre Selbstverständlichkeit verliert. Die Kunst der Moderne strebt schließlich so sehr nach Autonomie, dass es fast ausgeschlossen scheint, dass ein Künstler sich in seinem Schaffen einer religiösen Funktion unterwirft.
Von daher ist Michael Triegels Vorhaben, ein Andachtsbild zu malen, wirklich bemerkenswert. Michael Triegel hat während der Arbeit an diesem Auftrag lange gezögert, seinem Barmherzigen Jesus ein Gesicht gegeben. Doch das Gesicht ist für die Bildfunktion fundamental: Der Beter will schließlich mit dem Dargestellten in eine Beziehung treten. Das Bild dient als Medium für die Interaktion zwischen dem Beter und dem abgebildeten Jesus. Im Fall des speziellen Sujets geht es um den barmherzigen Blick Jesu, der den Beter treffen soll - und umgekehrt: der Beter soll Jesus anblicken, möglicherweise gar mitleidend angesichts der Leiden, die Jesus für ihn auf sich genommen hat. Die Beziehung ist eine Beziehung des Leidens und der Liebe.
Gleichzeitig ist Michael Triegel jedoch der Gedanke wichtig, dass die Abbildung nicht mit dem Abgebildeten verwechselt werden darf. Die platonische Unterscheidung zwischen Abbild und Urbild war in den bildtheologischen Kontroversen der Christentumsgeschichte herangezogen worden, um die christliche Bilderverehrung zu rechtfertigen und sie von der heidnischen Idolatrie abzusetzen. Triegel hat darum das Antlitz Christi in seinem Würzburger Andachtsbild auf Goldgrund gemalt und es damit sowohl überhöht als auch relativiert. Zunächst weckt diese Darstellungsweise Assoziationen an das leuchtende Antlitz des verklärten Christus:
„Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht“ (Mt 17, 1-2).
Wir wissen, wie die Geschichte weitergeht. Petrus will das Geschehen festhalten, aber es gelingt ihm nicht. Mit der Überhöhung durch den Goldgrund geht tatsächlich auch eine Relativierung einher. Denn der Effekt, der auf Reproduktionen nicht erkennbar ist, aber dem Betrachter vor Ort sofort auffällt, ist folgender: Je nachdem, von wo aus man das Bild betrachtet, sieht sein Gesicht anders aus. Manchmal ist es regelrecht überstrahlt und kaum erkennbar, manchmal kommen die Konturen klar zum Ausdruck. Gleichzeitig ist es, wie viele historische Andachtsbilder, so gemalt, dass es jeden Betrachter, unabhängig von seinem Standpunkt, anzublicken scheint.
Das erinnert an Nikolaus Cusanus' Schrift "De visione Dei". Anhand der Christusikone, die Cusanus den Mönchen vom Tegernsee schickt, begreifen sie, dass Gott jeden von ihnen anblickt, auch wenn sie sich an unterschiedlichen Positionen befinden und sich in verschiedene Richtungen bewegen. Der Theologe Johannes Hoff schreibt dazu:
"Das, was ich (z. B. im gemalten Blick des Allsehenden) sehe, ist mir nah; denn es blickt mich so an wie ich es anblicke. Doch es blickt auch andere an, und das untergräbt die Illusion, es füge sich meinem subjektiven Verstehens- und Erwartungshorizont. Gott ist mir zugleich näher und ferner als ich mir selbst. Darin liegt das Rätsel seines Blicks."
Vielleicht ist Michael Triegel aber doch noch etwas "barmherziger" mit dem Betrachter und lässt ihm etwas von seiner Subjektivität. Weil das Gesicht sich nämlich verändert, wenn ich mich vor ihm bewege, ist doch jeder Blick auf ihn von meinem subjektiven Standpunkt bestimmt.
Derart reflexive Gedanken muss sich der Beter aber natürlich nicht machen. Er kann Jesus auch einfach voll Vertrauen anblicken und sich von ihm anblicken lassen, kann getrost seine Kerze anzünden und das Knie beugen. Ich habe es selber ausprobiert. Es funktioniert!