Dienstag, 4. Juli 2017

Öffnung durch Zwang

Gebäude der Glaubenskongregation in Rom
Unterdessen wissen wir über das Schicksal von Kardinal Müller Bescheid. Der 69jährige geht in den Ruhestand. Im folgt die langjährige Nummer Zwei der Glaubenskongregation nach, der 73jährige Jesuit Luis Francisco Ladaria Ferrer. Menschen, die ihn seit langem kennen, beschreiben Ladaria als beliebten Theologieprofessor, bescheiden und fromm, und vor allem: loyal. Ladaria wurde 2008 von Benedikt XVI. ins Amt gebracht. Ein theologischer Paradigmenwechsel ist von ihm nicht zu erwarten. Augenscheinlich ging es eher darum, Kardinal Müller loszuwerden.
In einer Audienz mit dem Papst am Mittag des 30. Juli 2017, einem Freitag, erfuhr Müller, dass er gerade seinen letzten Arbeitstag hinter sich gehabt hatte. Papst Franziskus hatte den Kardinal bis zuletzt darüber im Unklaren gelassen, ob er ihm eine weitere fünfjährige Amtszeit geben wollte, oder nicht. Offensichtlich sprach Müller im Anschluss an die Audienz mit Journalisten, denn die Nachricht machte bereit am Freitagnachmittag die Runde. Darum sah der Vatikanische Pressedienst sich wohl gezwungen, die Entscheidung des Papstes nicht erst mit dem Bulletin am Montag, sondern bereits am Samstag offiziell bekanntzugeben.
Am Samstag und Sonntag war Müller dann zu einem Klassentreffen in Mainz. Der dortigen Allgemeinen Zeitung sagte er, es habe "keine Differenzen" zwischen ihm und Franziskus gegeben. Die Entscheidung habe ihn "überrascht", sie mache ihm aber wenig aus. Die Zeitung zitiert den Kardinal mit den Worten: "Jeder muss mal aufhören".
Laut dem Kardinal gibt es keinen Konflikt zwischen ihm und dem Papst. Für viele Kommentatoren ist der Konflikt jedoch ganz augenscheinlich vorhanden. Bei der Frage nach der Möglichkeit des Kommunionempfangs für zivil wiederverheiratete Geschiedene war es bei den beiden römischen Familiensynoden zu heftigen Auseinandersetzungen unter den Teilnehmern gekommen. Papst Franziskus versteckte die vieldiskutierte Angelegenheit schließlich im dreihunderseitigen Abschlussdokument "Amoris Laetitia" in einer Fußnote, die zudem wenig eindeutig war. Von vielen wurde das so interpretiert: Der Papst wollte mehr - mehr war aber nicht drin, wenn er keine Spaltung unter den Bischöfen riskieren wollte. So ließ er die Sache absichtlich im Unklaren. In der FAZ kommentierte Christian Geyer:
"Man hätte einfach nur gerne gewusst, was gelten soll. Um dann selbst entscheiden zu können, ob und unter welchen Bedingungen man sich daran halten möchte oder nicht."
Kurze Zeit später sagte Kardinal Müller bei einem Vortrag im spanischen Oviedo, es gebe keinen Anlass zu der Annahme, "Amoris laetitia" erlaube Geschiedenen, die sich in einer neuen Ehe befinden (und sich nicht vornehmen, in Zukunft abstinent zu leben) den Eucharistieempfang. Hätte Franziskus eine solche Entscheidung treffen wollen, so Müller, hätte er dies "mit Klarheit" getan und entsprechende Gründe dargelegt.
Das Resultat der von Franziskus so gewollten (und von Müller eben nicht gewollten) Uneindeutigkeit ist, dass es nun in unterschiedlichen Ortskirchen gegensätzliche Interpretationen des Dokuments gibt. Das Internetportal katholisch.de titelte am 15.1.2017 "Malta: Wiederverheiratete können zur Kommunion" und am 8.6.2017 "Keine Kommunion für Wiederverheiratete in Polen". Vier Kardinäle wollten den Papst zwingen, diese Uneindeutigkeit zu beseitigen, indem sie ihm entsprechende Fragen vorlegten, bekamen aber vom Papst keine Antwort.
Die Situation ist offensichtlich so angespannt, dass Franziskus nun bereits zum zweiten Mal einer direkten Konfrontation aus dem Wege gegangen ist - darauf hat gerade Guido Horst in der Tagespost aufmerksam gemacht. Zwei Tage vor Müllers Entlassung fand in Rom ein Konsistorium, also eine Vollversammlung der Kardinäle statt. Anlass war die Aufnahme von fünf neuen Bischöfen in das Kardinalskollegium. Normalerweise gibt es beim Konsistorium auch einen nichtöffentlichen Teil, der dem Austausch zwischen dem Papst und seinen engsten Beratern dient. Doch dieses Gespräch fiel aus - wie schon beim letzten Konsistorium im vergangenen November. Der Papst will sich offensichtlich nicht in die Situation bringen, sich vor dem versammelten Kardinalskollegium unangenehme Fragen stellen zu lassen.
Schon oft hat der Papst von "Synodalität" gesprochen. Trotzdem gilt, was ich im letzten Heft der "Herder Korrespondenz" geschrieben habe:
"Als es bei den beiden römischen Familiensynoden 2014 und 2015 zu unerwarteten Widerständen vonseiten einiger Bischöfe und Kardinäle gegen die Agenda von Papst Franziskus kam, sagte er in seiner Ansprache zum fünfzigjährigen Bestehen der Bischofssynode, der 'synodale Weg' gipfele 'im Hören auf den Bischof von Rom, der gerufen ist, als Hirte und Lehrer aller Christen‘ zu sprechen'. (...) Der Papst kann sich beraten lassen, er kann auf Gläubige und Bischöfe hören. Aber am Ende haben sie auf ihn zu hören."
Wenn es darauf ankommt, wird der Papst durchaus autoritär. In der "Zeit" hat der Theologe Gregor Maria Hoff gerade sinngemäß geschrieben, dass Papst Franziskus leider keine andere Möglichkeit habe, als die gewünschte "Öffnung" in der Kirche mit Macht durchzusetzen. Das Vorgehen des Papstes in der Causa Müller habe, "etwas Ambivalentes", so Hoff,
"weil Franziskus seine Vorstellungen in der Kurie nur voranbringen kann, wenn er die Macht ausspielt, die ihm die Kardinäle in die Hände gelegt haben. Aber es markiert auch kirchlich Wegweisendes, wenn der Papst nicht auf die selbstverständliche Autorität seines Amtes setzen kann: Der erforderliche Gebrauch seiner Macht relativiert es. Die Paradoxie einer Politik der kirchlichen Öffnung mit den Mitteln der geschlossenen Kirchengesellschaft führt das Papstamt an seine Grenzen."
Liebe Leser, finden Sie das logisch?

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