Donnerstag, 27. September 2018

Zitiert werden

Das wünschen sich alle Journalisten: Zitiert zu werden, dass andere Medien die eigenen Texte aufgreifen, den eigenen Namen nennen. Man kommt sich relevant vor, gilt als Experte. Einerseits. Anderererseits hat man nicht in der Hand, von wem man zitiert wird und ob man überhaupt richtig zitiert wird. So kann aus einem eher trockenen Bericht ein reißerischer Report werden.
Ein bekanntes konservatives Internetportal aus Linz beispielsweise hat einen Text über Papst Franziskus und die Missbrauchskrise entdeckt, den ich für die Herder Korrespondenz geschrieben habe. Schaut man sich die Zusammenfassung meines Beitrages an, sieht man, wie sich die Darstellung der Sachverhalte und ihre Bewertungen leicht verschieben.
In meinem Artikel schreibe ich beispielsweise:
So ergibt sich ein ambivalentes Bild: Der Papst stellt sich dem Problem, ist auch imstande, durchzugreifen, trifft sich regelmäßig mit Missbrauchsopfern. Gleichzeitig schaut er in Einzelfällen weg und zeigt sich „beratungsresistent“. Zuletzt behauptete eine französische Fernsehdokumentation, Franziskus habe als Erzbischof von Buenos Aires versucht, die Justiz zu beeinflussen, um den pädophilen Priester Julio César Grassi zu schützen.
Die Kollegen machen daraus Folgendes:
Für die Herder-Korrespondenz ergibt sich daher ein sehr ambivalentes Bild von Franziskus im Missbrauch-Kontext. Dieser stelle sich zwar dem Problem, treffe sich regelmäßig mit Missbrauchsopfern und greife auch ab und zu durch. Gleichzeitig schaue er aber laut der Zeitung in Einzelfällen weg und zeige sich „beratungsresistent“. Leven erinnert auch an die französisch-deutsche Fernsehdokumentation, die nachgewiesen hat, dass Franziskus habe als Erzbischof von Buenos Aires versucht habe, die Justiz zu beeinflussen, um einen pädophilen Priester zu schützen.
Klingt erstmal so ähnlich. Aber wenn man genau hinschaut, entdeckt man die Veränderungen. Aus "ambivalentes Bild" wird "sehr ambivalentes Bild". Aus "stellt sich dem Problem" wird "stellt sich zwar dem Problem". Aus "ist auch imstande, durchzugreifen" wird "greife auch ab und zu durch". Und aus "behauptet" wird "nachgewiesen".
Das ist schade, denn in einem solchen Text wählt man seine Worte mit Bedacht - gerade, wenn es um ein so heikles Thema geht.

PS: Die von mir monierten Formulierungen wurden inzwischen geändert.

Freitag, 7. September 2018

Wenn Vertuschung scheitert

Im Jahr 2010 wurde bekannt, dass der damals noch amtierende Bischof von Brügge, Roger Vangheluwe (geboren 1936) jahrelang seinen Neffen missbraucht hatte. Am 23. April 2010 bot Vangheluwe dem Papst seinen Rücktritt an, den dieser eine Stunde später (!) annahm. Am selben Tag sagte der emeritierte Erzbischof von Mechelen-Brüssel und ehemalige Primas von Belgien, Godfried Kardinal Danneels: "Es hat von meiner Seite noch nicht einmal den Anschein eines Versuches gegeben, die Angelegenheit zu vertuschen oder den Mantel der Geheimhaltung darüber zu breiten."
Dem Rücktritt war ein Gespräch zwischen Vangheluwe, dem Opfer, seiner Familie und Kardinal Danneels in einer Abtei vorangegangen. Am 28. August 2010 publizierte die belgische Zeitung "De Standaard" die Mitschrift dieses Gespräches, das heimlich aufgenommen worden war. Es dokumentiert, mit welcher Perfidie Kardinal Danneels damals versuchte, die Tat seines Amtsbruders zu vertuschen und das Opfer zum Schweigen zu bringen.
Der Betroffene, Mark Vangheluwe, hat sich im vergangenen Jahr in einem Buch mit seinen Erfahrungen auseinandergesetzt. Er schrieb einen "Brief an den Papst" (Brief aan de Paus, Uitgeverij De Bezige Bij, Amsterdam/Antwerpen 2017). Hier schildert er seine jahrelangen Versuche, den Onkel dazu zu bringen, seine Schuld einzugestehen und Verantwortung zu übernehmen. Am Ende dieser Entwicklung stand das Gespräch vom April 2010. Roger Vangheluwe war in die Enge getrieben. Nun setzte er auf Danneels, der für ihn wohl einen letzten Versuch starten sollte, für ihn die Kohlen aus dem Feuer zu holen.
Angesichts der aktuellen Diskussionen fand ich es interessant, sich dieses Dokument einmal näher anzuschauen. Ich habe die Gesprächsabschrift aus dem Flämischen übersetzt und mit Kommentaren versehen.


Gespräch am 8. April 2010 zwischen Kardinal Danneels und dem Opfer 

Roger Vangheluwe: Der Vorschlag ist, dass Mark erst einen Moment mit dem Kardinal spricht.

Mark Vangheluwe: Ich dachte, dass es der andere Kardinal sein würde?

Roger Vangheluwe: Wir haben doch nur einen Kardinal, oder?

Mark Vangheluwe: Ja, aber wir dachten, dass es der Erzbischof wäre.

Roger Vangheluwe: Aber Du hattest doch nach dem Kardinal gefragt.

Roger Vangheluwe geht hinaus.

Mark Vangheluwe hatte seinen Onkel gefragt, ob dessen "Vorgesetzter" dabei sein könnte, und dabei offensichtlich an den neuen Erzbischof von Mechelen-Brüssel gedacht, Erzbischof André-Joseph Léonard. Dieser hatte kurz nach seiner Wahl das "schuldige Stillschweigen" der Kirche in Sachen Missbrauch eingestanden und die Einrichtung einer Kommission und einer Telefon-Hotline für Missbrauchsopfer bekannt gegeben. Doch Roger Vangheluwe brachte statt Léonard seinen alten Freund Godfried Danneels mit zu dem Termin. 

Godfried Danneels: Mark, setzen Sie sich. Na sagen Sie mal…

Mark Vangheluwe: Also, ich bin meine ganze Jugend über von meinem Onkel Roger missbraucht worden. Sexuell und heute immer noch geistig, und ich finde, dass ich da was tun muss, dass ich die Pflicht habe, das einer höheren Instanz zu melden.

Danneels: Was würden Sie sich denn wünschen? Ich kenne die Geschichte, er hat sie mir schon erzählt. Sie müssen also nicht alles noch einmal erzählen. Aber was soll ich denn jetzt Ihrer Meinung nach tun?

Danneels offenbart hier bereits seine ganze Empathielosigkeit, indem er sich weigert, die Ereignisse aus der Sicht des Opfers anzuhören.

Mark Vangheluwe: Ich übertrage die Verantwortung Euch, ich kann da nicht drüber entscheiden, ich habe die Last auf meinen Schultern und ich will von dieser Last erlöst werden und sie Euch übergeben. Das ist meine Absicht.

Danneels: Ja…

Mark Vangheluwe: Und dass Ihr dann das tut, von dem Ihr meint, dass es getan werden muss, denn ich weiß auch nicht, wie das ganze System funktioniert, also…

Mark Vangheluwe weigert sich, Forderungen zu stellen. Er will, dass die Institution die Tatsachen anerkennt und die entsprechende Konsequenzen daraus zieht.

Danneels: Wollen Sie, dass das bekannt gemacht wird, eigentlich?

Mark Vangheluwe: Äh, das überlasse ich Euch.

Danneels: Eigentlich… Monseigneur wird nächstes Jahr seinen Rücktritt einreichen, eigentlich wäre es besser, wenn Sie warten.

Schon ist es heraus: Danneels will verhindern, dass es vor der Emeritierung seines Amtsbruders einen Skandal gibt.

Mark Vangheluwe: Nein, nein, nein.

Danneels: Wenn Sie das jetzt machen, wird es Spekulationen geben…

Mark Vangheluwe: Das ist in Ordnung, dann liegt es in eurer Verantwortung, diese Spekulationen aufzulösen.

Danneels: Aber das können wir nicht auflösen.

Mark Vangheluwe: Dann kann ich es auch nicht auflösen, ich übergebe die Sache dann lieber Euch.

Danneels: Nun, ich würde meinen, dass es vielleicht besser ist, ein Datum nach dem nächsten Jahr abzuwarten, wo er wahrscheinlich emeritieren wird.

Mark Vangheluwe: Nein, damit bin ich nicht einverstanden, und in aller Glorie Abschied nehmen, nein, das kann ich nicht. Oder ist es so, dass Ihr meint, dass wieder die Vertuschungstechnik gebraucht werden muss, wie Ihr das schon so viele Jahre tut? Dann muss ich lernen, damit zu leben, aber äh…

Danneels: Aber ich habe keine Autorität über Monseigneur Vangheluwe.

Mark Vangheluwe: Und wer hat die?

Danneels: Eigentlich niemand, außer der Papst. 

Mark Vangheluwe: Na gut, ich habe darum gebeten, mit seinem Arbeitgeber zu sprechen, und ich habe nicht gesagt, wer das sein muss. Ich habe auch den Papst erwähnt.

Danneels: Jetzt habe ich nichts mehr zu sagen, ich bin abgetreten.

Danneels startet ein Ausweichmanöver. Eigentlich ist er nicht zuständig, kann gar nichts entscheiden, ist ja auch schon im Ruhestand.

Mark Vangheluwe: Ah ja, was tue ich hier denn eigentlich? Dann müssen wir vielleicht besser einen Termin mit dem Papst machen.

Danneels: Oder mit dem neuen Erzbischof.

Mark Vangheluwe: Ich weiß es nicht. Sie sagen, dass der Papst sein Chef ist, dann müssen wir zu ihm gehen und nicht zum Erzbischof.

Danneels: Wir haben keine Autorität über die anderen Bischöfe, wir sind allein. Eigener Chef.

Mark Vangheluwe: Dann ist es vielleicht über Sie möglich, dass Sie einen Termin mit dem Papst machen und wir dann dorthin gehen. Es sind nun 42 Jahre, dass ich darunter leide und ich will das nicht mehr, ich kann nicht mehr schweigen, ich kann das nicht, und ich will nicht, dass das alles so bleibt. Es hat einen viel zu großen Einfluss auf die Familie, auf alles, auf das Verhältnis zu meiner Frau, auf alles, ich habe keine Lust mehr auf dieses Leben und es hat immer noch so einen Einfluss, ich will das loswerden. Ich bin ich ein Alter gekommen, in dem ich frei durchs Leben gehen möchte.

Danneels: Eigentlich liegt die erste Verantwortung bei ihm, nicht bei seinen Oberen. 

Mark Vangheluwe: Ja gut, aber wenn er nichts tun will, was passiert dann?

Danneels: Was verlangen Sie denn denn von ihm? Dass er abtritt?

Mark Vangheluwe: Aber das muss er entscheiden, ich will es einfach nur melden, das ist es. Sie verlangen, dass ich etwas sage, das ich selbst nicht sagen kann. Ich kann das nicht. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Oder ich muss eine andere Art suchen, um das für mich abzuschließen. Und für heute habe ich verlagt, dass er öffentlich die Beichte vor der Familie spricht, dass er sagt: Ich habe diese Dinge getan. Während jeder dabei ist.

Danneels: Das wird er tun.

Mark Vangheluwe: Das hatte ich für heute erwartet, das können wir am besten direkt machen und dann sehen wir mal. Wenn nichts passiert, gehen wir zum Papst.

Danneels: Der Papst ist nicht zu einfach zu erreichen. 

Mark Vangheluwe: Aber das können Sie doch regeln, es ist doch wichtig genug, denke ich, das an höherer Stelle zu melden. Oder wollen Sie es so lassen, wie es ist? Das ist warscheinlich die Absicht…

Danneels: Ich habe da nichts mit zu tun.

Mark Vangheluwe: Dann frage ich mich, was Sie hier eigentlich machen. Ich hatte darum gebeten, seinen Oberen zu sprechen und scheinbar ist das nicht der Fall.

Mark Vangheluwe denkt noch ganz in der instutionellen Logik. Man muss sich doch irgendwo beschweren können und jemand muss zuständig sein. Wenn das der Papst ist, dann muss man eben zum Papst. Es klingt wie ein Gespräch aus einem Kafka-Roman, wenn der Kardinal  sagt, der Papst sei halt "nicht einfach zu erreichen".

Danneels: Ich kann doch auch Rat geben.

Nachdem der Kardinal sich für institutionell nicht zuständig erklärt hat, zieht er die pastorale Karte. Wie sich sogleich zeigen wird, in manipulativer Absicht.

Mark Vangheluwe: Wenn ich auf meiner Arbeit etwas falsch mache, dann geht das auch an meinen Chef. Ich hatte gedacht, das hier auf die gleiche Weise zu tun.

Danneels: Eigentlich ist es er, der verantwortlich für eine Sache ist, die eigentlich nicht gut ist.

Mark Vangheluwe: Was denken Sie darüber?

Danneels: Dass es nicht sein darf.

Mark Vangheluwe: Dass es nicht sein darf und dass es nicht sein kann, und dass er die Funktion nicht behalten kann, das denke ich doch, das müsste doch eigentlich die normalste Reaktion sein. Wie kann er noch so scheinheilig durchs Leben gehen?

Danneels: Das müssen Sie ihn fragen.

Mark Vangheluwe: Aber ich frage Sie um Rat.

Dannels: Ach ja, man kann auch um Vergebung bitten, ne, und seine Schuld bekennen.

Mark Vangheluwe: Wen muss ich denn um Vergebung bitten? Ich muss doch nicht um Vergebung bitten!

Danneels: Stimmt, er kann das tun.

Dass Opfer, dass Gerechtigkeit will, wird aufgefordert, mit dem Täter barmherzig zu sein und ihm zu vergeben. Das Ziel dieses Ratschlags ist natürlich nur, den öffentlichen Skandal zu vermeiden.

Mark Vangheluwe: Und damit soll die Sache dann abgeschlossen sein.

Danneels: Ich weiß nicht, ob Sie sich damit einen Gefallen tun, das an die große Glocke zu hängen, weder sich selbst noch ihm.

Danneels droht dem Opfer. Ist die Sache einmal in der Öffentlichkeit, wird es auch für ihn peinlich.

Mark Vangheluwe: Ich glaube immer noch, dass die Opfer ihre Privatsphäre haben, es müssen ja keine Namen genannt werden.

Danneels: Naja, so bringen Sie ihn in eine schwierige Lage.

Mark Vangheluwe: Ich befinde mich schon mein ganzes Leben in einer schwierigen Lage. Ich habe nicht vor, noch Mitleid zu haben, ich will den Kampf zuende bringen, es muss für mich erledigt sein, dass ich endlich mal ins reine komme mit mir selbst, dass ich tue, was ich tun muss. Ich war auf einer katholischen Schule und bin katholisch erzogen worden. Ich sehe diese ganze Institution wanken, ich lese auch die Zeitungen, ich finde also, dass ich die Pflicht habe, das zu tun. Wie kann ich meine Kinder dazu bringen, etwas zu glauben – mit so einem Hintergrund, das geht doch nicht, dann schiebt man es einfach an die nächste Generation weiter. Und alles bleibt so, wie es ist. Das ist doch nicht der Sinn der Kirche.

Daneels: Nein, es ist doch nicht der Sinn, jemanden in Miskredit zu bringen?

Mark Vangheluwe: Nennen Sie mir eine andere Lösung. Ich soll vergeben, und dann ist es erledigt.

Danneels: Nein, nein, nein.

Mark Vangheluwe: Und er macht einfach weiter.

Danneels: Man kann doch auch sagen, er legt nächtes Jahr sein Amt nieder, und dass er dann zum Beispiel sagt, schau, ich trete nicht mehr im Fernsehen auf, und so. Solche Sachen, nach einem Jahr.

Mark Vangheluwe: Nein. Ich möchte es in eure Hände legen, und ihr entscheidet dann.

Danneels: Sie können uns festnageln und erpressen, und sagen: Sie müssen was tun.

Mark Vangheluwe: Wie bitte?

Danneels: Sie können erpressen und sagen, wenn Sie nicht sagen…

Mark Vangheluwe: Warum sollte ich jemanden epressen? Ich werde niemanden epressen.

Danneels: Gut, wenn Sie zum Beispiel sagen, es passiert nichts, und machen es dann öffentlich…

Der Kardinal wirft dem Opfer vor, ein Erpresser zu sein.

Mark Vangheluwe: Dann lassen Sie mir diese einzige Chance. Jetzt gebe ich Euch als Kirche noch die Chance, etwas zu tun, weil ich selbst nicht in der Lage bin, diese Entscheidung zu treffen und weil es eigentlich klar ist, dass es eine deutliche Antwort braucht. Darum übergebe ich die Sache der Institution, die doch irgendjemanden haben muss, der das regelt, solche Sachen. Das sind doch nicht die ersten Dinge, die rauskommen, ich meine doch, dass es dafür etwas geben muss, eine Stelle, die das aufnimmt und da etwas mit macht. Wir wurden gezwungen, vor ihm zu heiraten, die Kinder wurden von ihm getauft, wie soll ich denen das erklären? Ich habe gestern meinem ältesten Sohn gesagt: Schau, das ist mit mir passiert. Sie müssen doch wissen, was passiert ist? Das kommt doch raus, das geht doch so nicht weiter, und dann warten, bis alles erledigt ist, das ist doch keine Lösung.

Danneels: Ah! Wir können auch, wie ich gesagt habe, um Vergebung bitten und selbst vergeben, das ist auch noch eine Möglichkeit.

Mark Vangheluwe: Das ist für mich nicht möglich, daran glaube ich nicht mehr, wenn Sie all diese Dinge sagen, das kann doch nicht sein.

Danneels: Das ist schon oft in der Geschichte passiert, nicht nur in der Kirche, später auch. Es ist schlimm und bleibt schlimm, es verändert sich nicht, aber, äh, ja, sieh mal, wenn man aufrichtig um Vergebung bittet, dann tragen wir das alle beide, das ist auch eine Möglichkeit, oder?

Mark Vangheluwe: Das wäre natürlich für Euch das einfachste.

Danneels: Oh, ich weiß nicht, ob das so einfach ist. Es ist nicht so einfach, öffentlich um Vergebung zu bitten, das ist nicht so einfach, nicht wahr.

Mark Vangheluwe: Ich finde das auch nicht einfach.

Danneels: Es ist nicht so einfach.

Mark Vangheluwe: Ich muss das auch gegenüber den Familienmitgliedern tun.

Danneels: Wollen Sie vielleicht, dass wir ihn absetzen?

Mark Vangheluwe: Ah ja, natürlich.

Danneels zwingt Mark Vangheluwe, doch eine Forderung auszusprechen, allerdings nur, um ihm anschließend vor Augen zu führen, welch unangenehme Konsequenzen dies für den Täter hätte.

Daneels: Das ist nicht so einfach.

Mark Vangheluwe: Das weiß ich nicht. Natürlich will ich das. Das ist doch logisch. Wenn ich betrunken einen Unfall baue, werde ich auch bestraft.

Danneels: Eine Strafe muss strafen. Es gibt Strafen, die öffentlich sind, und Strafen, die privat sind, das ist ein großer Unterschied. Dein Name kommt an die Öffentlichkeit, wird durch den Dreck gezogen.

Mark Vangheluwe: Mein Name?

Danneels: Sein Name.

Mark Vangheluwe: Er hat mich auch ein ganzes Leben lang durch den Dreck gezogen. Von meinem fünften bis zu meinem 18. Lebensjahr. Können Sie sich das vorstellen?

Danneels: Ja, das kann ich mir vorstellen, das ist schlimm.

Mark Vangheluwe: Sie können es sich nicht vorstellen, da bin ich mir sicher.

Danneels: Also um Vergebung bitten, ist nicht genug? Wenn Sie einverstanden sind, können sie sagen, was sie wollen. Wenn Sie sagen, ich vergebe…

Mark Vangheluwe: Ich denke, dass das nicht ausreicht.

Danneels: Aber es ist schon erniedrigend, das zu tun.

Mark Vangheluwe: Für mich was es auch erniedrigend.

Danneels: Ich sage nicht, dass es nicht wahr ist.

Mark Vangheluwe: Ich musste das auch alles durchstehen. Es ist für ihn auch die einzige und aufrechteste und einfachste Art, auf eine gute Weise zu sterben, dass er die Verantwortung übernimmt. Es wird dann auch für ihn viel einfacher sein. Und dafür muss man in der Tat durch den Dreck gehen, muss da überall durch, und dann kommt man ins Reine mit sich selbst.

Danneels: Das ist doch schwer, was da verlangt wird. Es ist hart zu sagen: Du musst öffentlich vor allen erniedrigt werden.

Mark Vangheluwe: Das muss er ja nicht. Er muss einfach aufhören.

Danneels: Ah ja, aber das ist ja gerade die Erniedrigung, dass er aufhören muss.

Mark Vangheluwe: Jaja.

Danneels: Dann werden die Leute sagen: Warum hört er auf? So, sie werden es dann schon herausfinden, nicht war, warum hört er auf? Dann finden sie es heraus. Das ist doch hart.

Mark Vangheluwe: Aber warum haben Sie so ein Mitleid mit ihm und nicht mit mir?

Mark Vangheluwe spricht das Offensichtliche aus. Der Kardinal zeigt über das gesamte Gespräch nur Empathie mit dem Täter, nicht aber mit dem Opfer.

Danneels: Das habe ich nicht gesagt.

Mark Vangheluwe: Sie versuchen die ganze Zeit, ihn zu verteidigen. Ich dachte, dass ich etwas Unterstützung erfahren würde, ich muss hier sitzen und mich verteidigen gegen Dinge, für die ich nichts kann.

Danneels: Nein, ich sage nicht, dass Sie dafür etwas können, es muss etwas anderes getan werden.

Mark Vangheluwe: Aber was muss getan werden?

Danneels: In jedem Fall um Vergebung bitten.

Mark Vangheluwe: Und damit ist es erledigt, für Sie.

Danneels: Wenn Sie sagen…

Mark Vangheluwe: Warum bin ich dann hier? Das hätte er schon viel früher tun können, dann wäre das nicht nötig. Mein Vater hat ihn schon informiert, als ich 18 war. Jetzt sind 25 Jahre vergangen und er hat noch nie um Vergebung gebeten. Warum war das nicht früher möglich? Dann wäre es vielleicht nie so weit gekommen. Nein, ich möchte nicht, dass er in Glanz und Gloria einfach von der Bühne verschwindet und es damit getan ist. Er hat nie die Verantwortung übernehmen wollen und es wünsche, dass Ihr jetzt Eure Verantwortung als Obere übernehmt. Das ist meine Absicht.

Danneels: Ja, ich kann nichts Böses tun, denn ich trage keine (Verantwortung).

Mark Vangheluwe: Ah ja, dann müssen wir nicht weiterreden. Dann hören wir besser auf. Dann muss ich mit Ihnen nicht reden, denn Sie können ja doch nichts tun.

Danneels: Nein, nicht direkt, eigentlich. Nein, nein, Sie verlangen von mir das Maximum…

Zweites Gespräch im Beisein der Familie

Roger Vangheluwe: Du hast mich also gebeten, dass ich hier deutlich sagen soll, wie sehr ich fehlgegangen bin, indem ich Mark sexuell missbraucht habe, von da an, wo er 5 oder 6 war, denke ich, bis er ungefähr 18 war. Irgendwann, wenn wir uns sahen, ob bei Euch oder bei uns. Dass ich dann irgendwann mit Mark, äh, Handlungen vollzogen habe, die nicht gehen. Und dass ich, ja, äh, das all die Jahre getan habe. Dass ich heute viel mehr als damals, damals war mir das nicht klar… Dass ich heute deutlich sehe, wie schrecklich verkehrt ich damit gehandelt habe und wie schwer die Folgen für Mark und für Euch alle waren, davon, was damals passiert ist. Und dass ich tun will, was ich kann, um das ein bisschen zu beheben. Aber ja…. Ich bin bereit zu allem, was Ihr verlangt. Und natürlich, ich verlange nicht mehr, als dass Du, nach allem, was ich getan habe und was geschehen ist, dass Du ein bisschen… Dass ich noch etwas daran tun kann.

Bischof Vangheluwe kommt der Forderung nach, seine Schuld einzugestehen. Nun führen er und Danneels vor der Familie ein kleines, zerknirschtes Theaterstück auf.

Danneels: Ja, nun, äh, tut es Dir leid und bittest Du um Vergebung? Oder äh…

Roger Vangheluwe: Es tut mir schrecklich leid und ich habe Mark um Vergebung gebeten. Wenn man das vergeben kann. Ich weiß, dass das, worum ich nun bitte, sehr schwer ist. Aber ich bitte wirklich aufrichtig darum. Mögest Du mir vergeben, denn ich kann mir selbst nicht vergeben. Ja, es tut mir sehr leid, dass ich so viele Leben zerstört habe.

Danneels: Ja, das ist nicht nichts. Das sind schlimme Tatsachen, nicht wahr, Roger? Es ist schlimm, nicht wahr. Allez, Du musst sehen, dass das nicht normal ist, so. Ich finde, dass Du das deutlich sagen musst. Das ist kein Fehlerchen. Das ist ein ernsthafter Fehler gewesen und ich glaube auch persönlich, dass das ein ernster Fehler gewesen ist. Ach ja, was kann man hier anderes tun als zu sagen: Schau, es tut mir leid. Du musst versuchen, so viel wie möglich wiedergutzumachen, aber das lässt sich niemals ganz wiedergutmachen. Damit musst Du rechnen: Das lässt sich nicht wieder ganz gradebiegen. Ja, und wenn ich dich so sehe, dann leidest Du auch darunter. Nicht nur Mark, Du auch.

Hier fällt die minimalisierende und abstrahierende Sprache auf, die Danneels für die Taten findet. Der Missbrauch ist "nicht normal", ein "ernster Fehler". Keine Rede von Sünde, von Schuld, von Buße, Sühne und Wiedergutmachung.

Roger Vangheluwe: Ich bin froh, dass ich da mal drüber sprechen kann. Auch für mich ist das ein Stück weit Befreiung. Ich kann da mit niemandem drüber sprechen, Ihr miteinander immerhin noch ein bisschen. Es sind schon zwanzig Jahre, dass ich das mit mir herumtrage. Immer wieder neu. Und seit Jahren suche ich nach Lösungen – gute und weniger gute. Wie kann ich das tun? Ich frage mich, wie ich davon loskommen kann, und was ich tun kann, ohne Euch noch mehr Schaden zuzufügen.

Danneels: Ja, das ist nicht einfach.

Familie: Das ist unauflösbar.

Danneels: Wir müssen ein bisschen schauen, was da eventuell noch getan werden kann, aber es ist eigentlich schon sehr ernsthaft, dass er jetzt deutlich sagt: Schau, es ist eine schlimme Sache, und ich bitte ausdrücklich um Vergebung dafür. Das ist ein ernsthafter Schritt. Es ist vielleicht gut, dass vor der ganzen Familie zu tun, sodass jeder es gehört hat.

Familienmitglied: Du hast unsere Familie auseinandergerissen.

Vangheluwe: Ja, ich habe die ganze Familie kaputtgemacht, das ist schlimm.

Danneels: Ja, das ist schlimm. Na, Mark, was meinen Sie?

Hier endet das Theaterstück. In seinem Buch wird Mark Vangheluwe später über Danneels schreiben: 

"Er schien gefühllos und unecht, als ob er aus Plastik wäre." - "Er versuchte, mich glauben zu lassen, dass es eigentlich kein Problem gäbe und ich nur ein bisschen Geduld haben müsste. Alles würde dann schon gut werden. Es wäre viel besser, zu schweigen, weg zu gehen und etwas Nützliches zu tun, als stundenlang darüber zu reden, was nun alles passieren müsste. Keine 'große Glocke' also, nicht abtreten, alles weiter vertuschen." - "Ich fühlte mich während des Gesprächs mit dem Kardinal alles andere als wohl, denn der Mann schüchterte mich ein und machte sich als waschechter Manipulator zum Herren über mich. Dadurch erlebte ich eine Art Flashback und fiel in die alte Gewohnheit der Untertänigkeit zurück. Ich, der dachte, stark genug zu sein, um den Kampf aufzunehmen, saß dem Kardinal gegenüber wie ein kleines Kind und suchte nach einfachen Worten, um deutlich zu machen, dass mit jemand dreizehn Jahre am Stück sexuell missbraucht hatte. Der schlaue Hund war in meinen Augen nicht vertrauenswürdig und aalglatt und wandt sich durch das Gespräch, als ob ihm das alles völlig egal wäre."

Wenige Tage später meldete sich Mark Vangheluwe bei der belgischen Missbrauchskommission. 
 
Papst Franziskus ernannte Godfried Danneels 2014 zum Mitglied der Außerordentlichen Bischofsynode über die "Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung" und 2015 zum Mitglied der Ordentlichen Bischofssynode über "Die Berufung und Mission der Familie in der Kirche in der modernen Welt".

Montag, 20. August 2018

Zeitgeist von Gestern

Demnächst mit Kittelschürze?
Maria braucht ein neues Kleid. Anlässlich des vierzigjährigen Jubiläums der Aufnahme des Aachener Doms in die Welterbeliste der UNESCO hat das Domkapitel einen Künstlerwettbewerb ausgelobt. Wie viele Gnadenbilder, so wird auch die Aachener Madonna im Laufe des Jahres rund sechszehn mal umgezogen: Sie erhält jeweils zu Festen und Kirchenjahr passende Gewänder. Das Bekleiden von Bildern ist in Europa seit dem Hochmittelalter üblich. 43 Kleider, dazu Ketten, Kronen und Broschen hat man in Aachen im Fundus. Die älteste Textilie in Aachen stammt aus dem 17. Jahrhundert. Doch nun soll etwas Neues her. In der Wettbewerbsausschreibung heißt es: „Anders als bei den bisherigen Gewändern soll es sich nicht um ein Festtagsgewand handeln. Maria als Frau aus dem Volk ist für viele Gläubige Identifikationsfigur und Vermittlerin zwischen Gott und den Menschen. Sie soll aus ihrer herrscherlichen Sphäre, in die sie mit ihren kostbaren Gewändern, Kronen, Zeptern und Schmuckstücken gehoben ist, herausgenommen und als Mensch und Gegenüber gezeigt werden.“
Vor allem durch eine eher locker-banale Fernsehberichterstattung des Westdeutschen Rundfunks aufgeschreckt, begannen einige Herrschaften aus Aachen, Unterschriften gegen die Ausschreibung zu sammeln. Sie fürchten, dass die im Dom verehrte „Kaiserin von Aachen“ durch das Vorhaben „herabgesetzt, verballhornt, sexualisiert und verunglimpft“ werden könnte. Doch dass Maria zukünfig mit bauchfreiem Oberteil oder in Badekleidung zu sehen sein könnte, wie der WDR-Beitrag nahelegt und die Unterschriftensammler befürchten, lässt sich ausschließen. Denn die 1656 geschnitzte spätgotische Marienfigur besitzt ein bodenlanges Gewand mit schwungvollem Faltenwurf. In Südeuropa befindet sich unter den bekleideten Heiligenfiguren oft nur ein Gestell aus Holz oder Metall. Die Figur hat keinen Körper. Eine Enthüllung würde nur die dahinter befindliche Leere offenbaren. In Aachen käme unter dem Gewand ein neues Gewand zum Vorschein.
Das Problem bei der Aachener Ausschreibung ist ein anderes. Mit der Formulierung „Frau aus dem Volk“ offenbaren die Verantwortlichen etwas von ihrem geistigen Hintergrund. Für das Gebet- und Gesangbuch „Gotteslob“ dichtete Friedrich Dörr 1972 ein barockes Marienlied um: „Maria zu lieben ist allzeit mein Sinn“. Als dritte Strophe seiner Neufassung reimte Dörr damals: „Du Frau aus dem Volke, von Gott ausersehn, dem Heiland auf Erden zur Seite zu stehn, kennst Arbeit und Sorge ums tägliche Brot, die Mühsal des Lebens in Armut und Not.“ Aus der innig geliebten himmlischen Jungfrau des Barockliedes wurde Maria, die Hausfrau, die sich die Hände an der Kittelschürze abwischt und dem Heiland rasch noch ein Butterbrot für die Arbeit schmiert. Das war schon Anfang der Siebzigerjahre altmodisch. Und nun, fast fünfzig Jahre später, soll Maria wieder einmal vom Sockel gehoben werden, damit man sie endlich als „Mensch und Gegenüber“ wahrnehmen kann. Ein „modernes Gewand für den Alltag“ soll es laut der Ausschreibung sein. Nichts deutet darauf hin, dass die Domherren hier etwas im Sinn hatten, das sexy ist (auch wenn sexyness heute ziemlich alltäglich ist). Aber woher weiß man eigentlich, dass diejenigen, die im goldenen Halbdunkel des Doms ihr Kerzchen anzünden, die Muttergottes lieber „alltäglich“ sehen wollen? Maria – eine von uns? Warum sollte man vor einer von uns Kerzen anzünden? Außerdem sind Schmuck und kostbare Gewänder gerade ziemlich modern. Der kirchliche Prunk vergangener Jahrhunderte inspiriert Modedesigner zu irren Kreationen, wie sie dieses Jahr etwa bei der „Met Gala“ im New Yorker Museum of Art zu sehen waren. Popstar Rihanna trug ein über und über mit Edelsteinen besetzes Outfit, entworfen von John Galliano, das an die Gewänder eines Papstes erinnerte – inklusive Mitra.
Kleidung ist Kommunikation. Vor dem Hintergrund der Feudalgesellschaft weist die prächtige Tracht der Aachener Madonna sie als Herrscherin aus. Wie ein Blick in die „Gala“ oder die „Bunte“ beweist, verstehen aber auch Bürger liberaler Demokratien diese Symbolik. Die Gewänder sind darüber hinaus an die Farben des liturgischen Jahres und seiner Feste angelehnt und gemahnen damit auch an sakrale Kleidung und ihre reichhaltige Symbolik. Und schließlich symbolisieren die Gewänder Mariens auch das "Gnadenkleid" derjenigen, die "voll der Gnaden" ist (mehr dazu in der nächsten Herder Korrespondenz). Maria in Alltagskleidung: Das ist Zeitgeist von Gestern.

Mittwoch, 27. Juni 2018

"F"

Gestern hat der Präfekt der Glaubenskongregation mit der Presse gesprochen, soweit ich sehe, das erste Mal überhaupt, seit er im Amt ist. Darin sagte er über die von den deutschen Bischöfen geplante Handreichung über "Konfessionsverbindende Ehen und gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie" und seinen von Papst Franziskus ("F") abgezeichneten Brief in dieser Angelegenheit, der vor einiger Zeit an die Öffentlichkeit gelangt ist: "Wenn jemand hier seinen eigenen Weg geht, riskieren wir, etwas Verwirrung zu schaffen." Es gelte darum, eine Lösung für die ganze Kirche zu finden. Ergo: Die Sache soll in Rom entschieden werden.
Heute veröffentlicht die Deutsche Bischofskonferenz eine "Note von Kardinal Reinhard Marx an den Heiligen Vater vom 12. Juni 2018", die ebenfalls von Papst Franziskus abgezeichnet wurde ("F"). Darin lässt sich Marx vom Papst bestätigen, dass der Ladaria-Brief "einige Hinweise und einen Interpretationsrahmen" vorgebe, aber "keine Anweisungen für das Handeln der Bischofskonferenz" beinhalte. Ladaria hatte unter anderem geschriebenen, die Handreichung sei "nicht reif" für eine Veröffentlichung. In der Note von Kardinal Marx heißt es nun, der Text könne "eine Orientierungshilfe und ein Studientext sein für die Bischöfe, die in ihren Diözesen Kriterien im Sinne des can 844 CIC erarbeiten" und dürfe darum auch "bekannt gemacht" werden.
Der Vorgang stellt einen Gesichtsverlust des Präfekten der Glaubenskongregation dar.

PS: Was bedeutet das "technisch"? Die Handreichung ist nun veröffentlicht worden, hat aber keine Verbindlichkeit. Die einzelnen Diözesanbischöfe können, so wie es das Kirchenrecht vorsieht, Partikularnormen zu can. 844 § 4 CIC erarbeiten (d.h. sie können festlegen, was in ihrer Diözese eine "schwere Notlage" ist, unter deren Bedingung ein Kommunionempfang von Nichtkatholiken möglich ist) und, wenn sie wollen, dafür die Handreichung als "Orientierungshilfe" benutzt. Diese Partikularnormen bedürfen laut can. 455 § 2 allerdings wiederum einer Rekognoszierung des Apostolischen Stuhls. Wie und nach welchen Kriterien wird dann in Rom entschieden werden?

"Wer möchte schon den traurigen Clown in der öffentlichen Meinung spielen?"

"Ich sehe es also durchaus nicht als Zeitverlust und Zumutung an, mich den Fragen und Zweifeln nach dem Sinn Deines Priestertums zu stellen in einer Welt, in der nicht wenige so leben 'als ob es Gott nicht gäbe'. Diese Leute halten uns für tragikomische Figuren, von denen man nicht weiß, ob man mehr über sie lachen oder weinen soll. Und es ist nicht angenehm, von verstohlenen und grinsenden Blicken als ein Mann aus einer vergangenen Welt gemustert zu werden. Wer möchte schon den traurigen Clown in der öffentlichen Meinung spielen?"
Kardinal Gerhard Ludwig Müller
Das schreibt Kardinal Müller in seinem Buch "Ihr sollte ein Segen sein. 12 Briefe über das Priestertum", das Mitte Juli bei Herder erscheint, aber schon gestern Abend in Rom, in der Bibliothek des Päpstlichen Institutes Santa Maria dell'Anima, vorgestellt wurde. Die Präsentation übernahmen Christian Schaller vom Regensburger Institut Papst Benedikt XVI., der Müllers theologischer Referent in dessen Zeit als Bischof von Regensburg war, sowie Karl-Heinz Menke, emeritierter Dogmatikprofessor aus Bonn und Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission. Die Kommission hatte am Tag zuvor die Arbeiten an der Studie über das Frauendiakonat fertiggestellt, die nun dem Papst vorgelegt wird - veröffentlicht werden soll das Papier nicht. Doch Debatten wie die um die Zulassung von Frauen zum Weihesakrament oder das Zölibat spielten gestern keine Rolle. Müllers Buch ist keine theologische Auseinandersetzung mit aktuell strittigen Fragen, sondern will eine "Ermutigung" sein:
"In dieser Stunde der Welt- und Kirchengeschichte suchen die meisten Priester aber nicht zuerst eine theologische Belehrung über Ursprung und Wesen, Aufgaben und Funktionen des Priestertums. Was sie schmerzlich vermissen, ist eine geistliche Ermutigung inmitten aller Belastungen der alltäglichen Hirtensorge in unüberschaubaren Seelsorgeräumen und noch mehr der globalen Bestreitung der Möglichkeit, die Wahrheit zu erkennen und ihrer zu seinem Heil zu bedürfen."
Christian Schaller und Karl-Heinz Menke
Das Buch ist in Form von Briefen verfasst, der Leser wird mit "Du" angesprochen, und oft scheinen mit diesem "Du" vor allem die Priester selbst gemeint zu sein. Ausdrücklich richten sich die Briefe aber auch an alle "Mitchristen".
Es handelt sich, wie gesagt, um ein geistliches Buch, keine theologische Abhandlung. Der zwölfte Brief beinhaltet jedoch eine nachdrückliche Empfehlung an die Priester, sich theologisch weiterzubilden:
"Ein eifriger Priester ist bemüht, seinen Wissenstand und Problemhorizont auf dem Laufenden zu halten. (…) Ohne eine profunde Theologie kann ein Priester heute seine Aufgaben nicht erfüllen."
In diesem Sinne, liebe Geistliche: Werfen Sie doch mal einen Blick in das Verlagsprogramm Religion und Theologie...


Dienstag, 8. Mai 2018

Warum Papst Franziskus Rihanna und Kardinal Burke braucht

Rihanna als Papst
30.000 Dollar kostet eine Eintrittskarte. Eine Tischreservierung ist für 275.000 Dollar zu haben. Die jährliche "Met Gala" ist eine Fundraising-Veranstaltung für das Costume Institute des Metropolitan Museum of Art in New York. Die Gala eröffnet jeweils eine Modeausstellung des Museums. Thema in diesen Jahr: "Himmlische Körper. Mode und die katholische Vorstellungskraft". Die prominenten Gäste der Gala interpretieren mit ihrem Look gern das jeweilige Motto. So auch in diesem Jahr. Rihanna trug Mitra, Katy Perry hatte Engelsflügel umgeschnallt und die Sängerin Zendaya erschien, inspiriert von Jeanne d'Arc, in Rüstung und Kettenhemd.
Die Ausstellung kam unter offizieller Beteiligung des Vatikans zustande. Fünfzig Stücke aus der päpstlichen Sakristei sind im Rahmen der New Yorker Schau zu sehen. Dahinter steckt Kardinal Gianfranco Ravasi, der Chef des Päpstlichen Kulturrats. Im Interview mit der italienischen Vogue erklärt er:
"Das liturgische Gewand ist so reich und prächtig, weil es die transzendente Dimension des religiösen Geheimnisses repräsentiert, und bestrebt ist, dasjenige, was göttlich ist, mit Herrlichem und Wunderbaren zu schmücken." Mode, so der Kardinal, sei "eine Form der Kommunikation, die in der zeitgenössischen Kultur sehr relevant ist." Und er fuhr fort: "Wie in den kirchlichen Paramenten die Sakralität der liturgischen Funktion zum Vorschein kommt, so erscheint in den Luxuskleidern der Haute Couture eine symbolische Funktion, die über die reine Funktion, sich zu bedecken, hinausgeht".
Katy Perry als Engel
In der Tat. Die katholische Tradition hat die komplexe symbolische Funktion von Kleidung stets zu nutzen gewusst. Im Gesamtkunstwerk Liturgie spielten Kleidungsstücke immer eine große Rolle: Sie bildeten einen eigenen semiotischen "Code", eine textile Zeichensprache, die mit den anderen Ausdrucksebenen des Gottesdienstes – Gesten und Bewegungen, Klänge, Gerüche bis hin zu Blumen – zusammenwirkte.
Doch seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist es im Katholizismus etwas verpönt, allzu viel Aufmerksamkeit auf Kleidung und überhaupt auf "Äußerlichkeiten", auf cultus et decor, zu verschwenden. Die Liturgiekonstitution "Sacrosanctum Concilium" gab 1963 die Parole von der "edlen Einfachheit" aus. Adolf Loos, der Prophet der architektonischen Moderne, hatte bereits 1908 in seinem Essay "Ornament und Verbrechen" geschrieben: "Der moderne Mensch, der Mensch mit den modernen Nerven, braucht das Ornament nicht, er verabscheut es". Schmuck war etwas für tätowierte Häftlinge und degenerierte Aristokraten.
Das ist hundert Jahre her und entspricht nicht mehr ganz dem Zeitgeist. Wie in der Mode kennt auch die Kirche Revivals. So kam es unter Papst Benedikt XVI. zu einem Wiederaufleben älterer Gewänder und Insignien. So manch abgeschnittener Zopf war plötzlich wieder da. Das war sicher auch Ausdruck einer neuen Suche nach Identität: Nach dem "Aggiornamento" der Sechziger ging es im neuen Millenium um das Wiederanknüpfen an Traditionen.
Beobachter fielen etwa die roten Schuhe auf, die der Papst trug, und die an die „Kreuzigung und das Blut Christi“ erinnern sollten, wie der päpstliche Schuhmacher damals in einem Interview erläuterte.
Papst Franziskus konnte mit diesen Revival offenkundig nichts anfangen, und so sind mit ihm wieder nüchternere Zeiten angebrochen. Er trägt immer wieder die selbe Mitra mit den braune Streifen, die er schon in Buenos Aires regelmäßig aufhatte. Pracht und Luxus ist ihm zuwider. Das Einzige, was er zur Schau stellt, ist seine Bescheidenheit und Demut. "Unter Papst Benedikt wurde mehr Spitze getragen," gab kürzlich ein Schneider auf katholisch.de zu Protokoll.
Raymond Burke als Kardinal
Diejenigen, die gegen das päpstliche Vorbild an einer gewissen Opulenz festhalten, gelten unter vielen Kirchenleuten als Witzfiguren, ja, als klerikale Transvestiten. Die meterlange Seidenschleppe, mit der Kardinal Raymond Burke gelegentlich zu sehen ist, hat ihm natürlich viel Spott eingebracht, obwohl er bei der Met Gala damit wohl genau richtig gewesen wäre.
Der Spott über die Tracht der Kleriker ist ein antiklerikaler Topos aus dem 19. Jahrhundert. Die Priester mit ihren langen Gewändern, galten schon damals als weibisch, hysterisch, unmännlich – und damit als perfekte Exempel der irrationalen, ja perversen Natur des Katholizismus. Irgendwann hat man sich in der katholischen Kirche diese Kritik zueigen gemacht.
Das heißt nun aber nicht, dass der Verzicht auf Pracht auch einen Verzicht auf textile Kommunikation bedeutet. Die Eintönigkeit der päpstlichen Gewänder, die orthopädischen Schuhe, die Franziskus trägt, ja sogar sein Brillengestell werden in Zeiten der medialen Omnipräsenz des Papstes natürlich auch zu kommunikativen Mitteln. Der Papst macht so deutlich, dass Gott für ihn weniger in der Schönheit und Herrlichkeit zu finden ist, sondern eher in der Armut, in der Schwäche, in der Einfachheit. "Man kann nicht nicht kommunizieren", lehrt uns Paul Watzlawick.
Diese Zeichensprache lebt allerdings vom Kontrast. Insofern ist der Pomp von Kardinal Burke und die Outfits den Stars bei der Met-Gala mit ihren überdeutlichen, teilweise bizarren sakralen Anleihen, sogar notwendig: Als Kontrastfolie für die ostentative Demut des Papstes.

Donnerstag, 26. April 2018

Gegen eine Instrumentalisierung des Sonntags!

"Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt", heißt es in der Verfassung. Als Christ bin ich gegen diese Vereinnahmung des Sonntags durch den Staat. Denn für Christen bedeutet der Sonntag doch eigentlich etwas ganz anderes und viel mehr: Er ist der Tag, an dem wir Tod und Auferstehung Christi feiern. Ich möchte nicht, dass der heilige Tag der Christen auf geradezu blasphemische Weise für irgendwelche Erholungszwecke und eine unspezifische "geistige Erhebung" instrumentalisiert wird, die zudem diejenigen ausgrenzt, die sich an einem anderen Tag erholen wollen.

Mittwoch, 25. April 2018

Kirchenleute gegen Kreuze

In hoc signo vinces.
Das ist schon kurios. Die bayrisches Staatsregierung unter Ministerpräsident Markus Söder (CSU) beschließt, dass hinfort in allen Dienststellen des Freistaats Bayern Kreuze aufgehängt werden sollen, und Kritik kommt von... Kirchenvertretern. Der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose schreibt in einem "offenen Brief" auf Facebook:
"Viele empfinden es zunehmend als eine Provokation und als Heuchelei, wie Sie über das Christentum öffentlich reden. In unserer Wahrnehmung wird das Christentum zunehmend von Ihnen dazu missbraucht, um die Ausgrenzung von Menschen anderen Glaubens zu betreiben. Über diese Entwicklung bin ich gemeinsam mit vielen anderen sehr besorgt. Ich bitte Sie eindringlich: Beenden Sie den Missbrauch des Christlichen und seiner Symbole als vermeintliches Bollwerk gegen den Islam."
 Der Bochumer Theologieprofessor Georg Essen ließ über Twitter wissen:
"Ich sage das jetzt mal als gläubiger Katholik und Theologe mit Kreuz im Arbeitszimmer: Für mich ist diese politische Instrumentalisierung durch Söder Blasphemie, theologisch eine Häresie und verfassungsrechtlich nur schwer erträglich."
Und der katholische Autor Andreas Püttmann teilte über den Kurznachrichtendienst mit:
"Ich freue mich über jedes Kreuz im öffentlichen Raum, als Botschaft selbstloser Liebe, höherer Gerechtigkeit, Leid und Tod überwindender Hoffnung, als Vermächtnis von Generationen. Als trotzig installierter Identitätsmarker, Kampfansage und Wahlkampfgag verliert es all das."
Laut der Staatsregierung ist das Kreuz "sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland". Söder bezeichnete es als "grundlegende Symbol der kulturellen Identität christlich-abendländischer Prägung". Es verstoße darum nicht gegen das Neutralitätsgebot.
Aufgrund dieser Aussagen heißt es nun, der Ministerpräsident instrumentalisiere das Kreuz, er missbrauche es gar als Signal von "Ausgrenzung". Das kann man ja so sehen. Aber trotzdem ist es doch merkwürdig, wenn Kirchenleute jetzt gegen mehr Kreuze in der Öffentlichkeit kämpfen.
Das Problem ist, dass die Kritiker selbst Gefahr laufen, das Kreuz politisch zu instrumentalisieren. Denn implizit sprechen sie den Politikern der CSU das Christsein ab. Der Subtext lautet: "Söder und die CSU stehen nicht für das, was wir unter Christentum verstehen, deswegen sind sie unglaubwürdig und haben kein Recht, sich auf das Kreuz zu beziehen. Das darf nur, wer unseren politischen Standpunkt vertritt." Pfarrer Hose ist übrigens Mitglied bei den Grünen.
Selbst, wenn man der begründeten Meinung ist, die CSU interpretiere das "C" irgendwie falsch, und man sich für eine andere Deutung des Christlichen stark macht, sollte man doch anerkennen, dass es nicht trivial ist, Christentum in Politik zu übersetzen und dass man da zu unterschiedlichen Schlüssen kommen kann.
Selbstverständlich ist das Kreuz für Christen viel mehr, als der Ausdruck einer kulturellen Identität und Bekenntnis zu Grundwerten. Es ist dies aber auch. Auch wer kein Christ ist, kann darin das Signal sehen, dass der Staat sich selbst nicht absolut setzt, indem er anerkennt, dass es über ihm Höheres und Unverfügbares gibt. Und er kann in ihm eine Information darüber erkennen, wovon Kultur, Gesellschaft und Staat hierzulande geprägt sind.
Kann man als Kirchenmensch wirklich gegen das Aufhängen von Kreuzen sein, nur weil die Initiative dafür von Markus Söder kommt? Was meinen Sie?

Freitag, 13. April 2018

Liturgie, Nächstenliebe und dieses verrückte Internet

Damit muss man zurechtkommen. Ich habe vor zwei Tagen zum ersten Mal einen "Standpunkt" auf katholisch.de geschrieben. Kurzfristig sollte ich für einen Kollegen einspringen, hatte einen Nachmittag Zeit und den Auftrag, zum gerade erschienen Papst-Schreiben "Gaudete et exsultate" über Heiligkeit einen Kommentar von 2.000 Zeichen zu tippen. Normalerweise arbeite ich für eine Monatszeitschrift, da hat man 10.000 Zeichen und mehr und kann zur Not wochenlang darüber nachdenken, was man schreiben will. Wieder Wochen später hört man dann vielleicht von jemandem, der das "ganz interessant" gefunden hat.
Anders bei einem Internetportal mit Hunderttausenden Visits im Monat. Morgens um Sieben ist die erste Nachricht auf meinem Mobiltelefon (lobend!), kurze Zeit später höre ich von Leuten, die sich wegen meines Standpunkts Sorgen um mich machen. Über Facebook kommen Hinweise auf Auslassungen und Interpretationsfehler, man moniert mangelnden Respekt gegenüber den Worten des Heiligen Vaters, zwischendurch erreichen mich auch immer wieder Nachrichten der Zustimmung und des Dankes. Auf der Facebook-Seite von katholisch.de schreibt jemand, dass Menschen wie ich die Leute von der Kirche wegtreiben. Meine Güte. Ich frage mich, ob die Kollegen von katholisch.de sich das alles durchlesen.
In dem Text hatte ich geschrieben, dass mir im Dokument des Papstes die Liturgie zu kurz kommt. Denn für das Zweite Vatikanische Konzil spielt der Gottesdienst die entscheidende Rolle für die Heiligung des Menschen (Sacrosanctum Concilium) bzw. die Berufung aller Christen zur Heiligkeit (Lumen Gentium).
"Gaudete et exsultate" betont dagegen stark die Bedeutung der aktiven Nächstenliebe. Dabei hängen Gottesdienst (Liturgia) und Dienst am Nächsten (Diakonia) eng miteinander zusammen. Irgendwie schien mir dieser Zusammenhang in dem Papier nicht wirklich klar zu werden. Statt dessen warnt der Papst in seiner langen Liste von Verurteilungen vor den selbstgerechten "Neopelagianern", die mit ihrer ostentativen Liturgiepflege auf dem Holzweg sind. Das fand ich nicht fair, weil ich meine, dass viel zu viele Gottesdienste einfach nur lieblos und wurschtig gefeiert werden und ein bisschen mehr Sorge um die Liturgie durchaus angemessen wäre.
Dass das Stichwort "Liturgie" nur in dieser Passage des Dokumentes vorkommt, finde ich schon bezeichnend. Das Thema freilich ist durchaus an verschiedenen Stellen präsent - aber meines Erachtens eben nicht den entscheidenden. Ein Beispiel: Die Feier der Messe wird in dem Schreiben in der Tat erwähnt, nämlich dort, wo es um den geistigen Kampf gegen den Satan geht. "Das Leben des Christen ist ein ständiger Kampf" heißt es da - und zwar gegen den Teufel, der uns davon abhalten will, heilig zu werden. Den Teufel darf man sich laut Franziskus nicht allzu symbolisch vorstellen. Es handelt sich vielmehr um ein "personales Wesen", "das uns bedrängt". In diesem Kampf gibt es für Franziskus verschiedene Waffen - und zu diesen Waffen gehört auch die Eucharistie:
"Für den Kampf haben wir die wirksamen Waffen, die der Herr uns gibt: der im Gebet zum Ausdruck gebrachte Glaube, die Betrachtung des Wortes Gottes, die Feier der heiligen Messe, die eucharistische Anbetung, das Sakrament der Versöhnung, die guten Werke, das Gemeinschaftsleben, der missionarische Einsatz."
Es mag ja sein, dass man die Liturgie auch als Waffe gegen den Teufel verstehen kann, aber sie ist ja doch vor allem und zuerst "Quelle und Höhepunkt" des ganzen kirchlichen Lebens, wie das Konzil lehrt.
Ist es in Ordnung, diese Beobachtungen zur Diskussion zu stellen? Es ist ja bemerkenswert, dass es überhaupt noch Leute gibt, die von Lehrschreiben des Papstes zu Debatten und Reflexionen angeregt werden. Die Frage ist, ob die Kommentarfunktion auf Websites und sozialen Netzwerken der einzige Ort sein sollten, an dem kirchliche und gesellschaftliche Diskussionen geführt werden. Ich finde nicht, denn vieles bleibt hier oberflächlich, auch aggressiv und polarisierend. Deswegen ist es ganz gut, dass es auch Monatszeitschriften gibt, die mehr Platz und mehr Zeit für Reflexionen bieten.
PS: Das findet der Papst übrigens auch. In Nr. 115 von "Gaudete et exsultate" schreibt er:
"Auch Christen können über das Internet und die verschiedenen Foren und Räume des digitalen Austausches Teil von Netzwerken verbaler Gewalt werden. Sogar in katholischen Medien können die Grenzen überschritten werden; oft bürgern sich Verleumdung und üble Nachrede ein, und jegliche Ethik und jeglicher Respekt vor dem Ansehen anderer scheinen außen vor zu bleiben. So entsteht ein gefährlicher Dualismus, weil in diesen Netzwerken Dinge gesagt werden, die im öffentlichen Leben nicht tolerierbar wären, und man versucht, im wütenden Abladen von Rachegelüsten die eigene Unzufriedenheit zu kompensieren."

Mittwoch, 11. April 2018

Nachdenken über Führungspersönlichkeiten mit überraschendem Ausgang

Mose und Heiner Wilmer
Es ist ein Buch über eine Führungspersönlichkeit. Kein Manager-Ratgeber, sondern ein religiöses Buch. Es geht um Mose, wenn man so will die "Führungfigur" im alten Testament. Geschrieben hat der Werk mit dem Titel "Hunger nach Freiheit. Mose - Wüstenlektionen zum Aufbrechen" Pater Heiner Wilmer, der bislang als Generaloberer der Herz-Jesu-Priester in Rom gearbeitet hat. So war die Idee entstanden, das Mose-Buch vor der berühmten Mose-Statue von Michelangelo in der römischen Kirche San Pietro in Vincoli zu präsentieren. Die Veranstaltung am Montag der Karwoche war sehr gut besucht. Was keiner der Teilnehmer ahnen konnte: Ein paar Tage nach Ostern ernannte ihn Papst Franziskus zum Bischof von Hildesheim. Nun kann er zeigen, was er von Mose in Sachen "Das Volk Gottes führen" gelernt hat. Bei der Buchvorstellung in Rom sagte Wilmer:
"Eine Führungspersönlichkeit ist jemand, der Menschen befähigt, etwas zu tun, das sie nie tun würden, wenn man es ihnen befiehlt."
Annette Schavan und Mose
Vorgestellt wurde das Buch von Annette Schavan, die (noch) als Botschafterin der Bundesrepublik beim Heiligen Stuhl in Rom tätig ist. Sie hatte San Pietro in Vincoli schon mehrfach als ihren Lieblingsort in Rom bezeichnet. 2016 erzählte sie meiner Kollegin Claudia Keller, die damals noch beim Tagesspiegel war:
"Da sitzt der weise Führer, der sein Volk durch die Wüste bringt – und muss mit ansehen, wie dieses Volk ums goldene Kalb tanzt. Man sieht ihm das Entsetzen an, doch er bleibt äußerlich ganz ruhig." 
Eine Choralschola des Pontificio Istituto di Musica Sacra sang dazu zwei gregorianische Gesänge: Das Canticum "Cantemus Domino" aus Exodus 15, das in der Osternacht gesungen wird, und das Offertorium "Precatus est Moyses" aus Exodus 32. In "Precatus est Moyses" heißt es:
"Mose betete vor dem Angesicht des Herrn, seines Gottes, und sprach: Warum, Herr, zürnst du gegen dein Volk? Mäßige den Zorn deines Herzens."

Und in "Cantemus Domino" hören wir Mose nach dem Durchzug durch das Rote Meer singen:
"Ich singe dem Herrn ein Lied, denn er ist hoch und erhaben. Ross und Reiter warf er ins Meer."
Lernen von Chorälen
Man könnte also sagen: Eine Führungspersönlichkeit, zumal ein Bischof, die sich an Mose orientiert, vertraut nicht auf ihre eigenen Kräfte. Es ist der Herr, der das Volk aus Ägypten und das Rote Meer geführt hat. Dafür singt Mose ihm Lob. Und er betet für das Volk. In diesem Sinne, lieber Pater Wilmer: Guten Start als Bischof in Hildesheim!



Dienstag, 13. März 2018

Papstfilme - von Luis Trenker bis Wim Wenders

Bei Radio V…, äh Vatican News ist ein Trailer zum Film "Pope Francis – A Man Of His Word" des deutschen Regisseurs Wim Wenders zu sehen, der in Deutschland um 14. Juni ins Kino kommt. Pressevorführungen in Berlin, Hamburg und München sollen demnächst stattfinden.
Vatican News schreibt: "Papst Franziskus selbst wird sich in dem Film direkt an die Zuschauer wenden und seine Geschichte erzählen. Mit Unterstützung des Vatikans konnte der deutsche Filmregisseur Wenders bei der Vorbereitung des Films mehrere lange Gespräche mit dem Papst führen, Einblick in die Archive nehmen und exklusives Bildmaterial verwenden. In dem Film wird der Papst über seine Lieblingsthemen wie ökologische Verantwortung, Migration, Konsum und soziale Gerechtigkeit sprechen."
"Zum ersten Mal in der Geschichte" öffne der Papst für ein solches Projekt die Türen, heißt es in einem englischsprachigen Trailer des Films. Das stimmt nicht ganz. In den Vierzigerjahren entstand „Pastor Angelicus“, ein Propagandafilm, der anlässlich des 25. Jubiläums der Bischofsweihe von Papst Pius XII. produziert und 1943 veröffentlicht wurde.
In einem Essay für die Herder Korrespondenz habe ich mich schon in letzten Sommer mit den beiden Filmprojekten beschäftigt. Als Regisseur für "Pastor Angelicus" wurde damals Luis Trenker engagiert, der kurz zuvor bei den Nazis in Ungnade gefallen war und nun eine Anschlussverwendung in Italien brauchte. Der Film blickt zurück auf den Werdegang des Papstes und zeigt sein Wirken: Audienzen für Abgesandte aus fernen Ländern, Ansprachen an Arbeiter, der Papst im Gespräch mit Kommunionkindern, schließlich seine Begegnung mit Kriegsversehrten. Im Mittelpunkt des Films steht die Friedensbotschaft des Papstes. Aber die erwünschte Breitenwirkung kam nicht zustande. Die Verbreitung mitten im Zweiten Weltkrieg erwies sich als schwierig, auch wirkte Pius XII. eher entrückt und abgehoben. In Deutschland konnte der Film ohnehin nicht gezeigt werden.
Mit solchen Widrigkeiten muss bei "Pope Francis – A Man Of His Word" nicht gerechnet werden. Hinter dem Projekt steht der neue starke Mann der vatikanischen Medienaktivitäten, Dario Viganò. Der italienische Priester war seit 2013 Direktor des vatikanischen Fernsehzentrums „Centro Televisivo Vaticano“ (CTV) und wurde Mitte 2015 zum Präfekten des neu gegründeten Kommunikationssekretariates ernannt, in dem im Rahmen der Kurienreform die gesamte Öffentlichkeitsarbeit des Heiligen Stuhls gebündelt werden soll. Dario Viganò gilt seit seiner Promotion in den Neunzigerjahren über "Kirche und Kino" als Filmexperte. Bei den Filmfestspielen in Venedig 2003 traf er erstmals mit Wim Wenders zusammen, wo er ihm den katholischen "Premio Robert Bresson" überreichte.
Wenders erhielt bereits in den Neunzigerjahren eine theologische Ehrendoktorwürde der Universität Fribourg. Spirituelle und religiöse Themen spielten in Wenders’ Werk schon immer eine wichtige Rolle. Zu seinen großen Erfolgen zählt der Film "Der Himmel über Berlin" von 1987, dessen Protagonisten zwei Engel sind, gespielt von Bruno Ganz und Otto Sander. Nun hilft Wenders, Franziskus ins Kino zu bringen.
Dass Wenders' Film, genauso wie sein Vorläufer aus den Vierzigerjahren, nicht ganz ohne Pathos auskommt, lassen die Trailer bereits erahnen...

Samstag, 24. Februar 2018

Die Wahrheit liegt nicht unbedingt in der Mitte

Bei den kirchlichen Lockerungsübungen in Moral und Sakramentendisziplin, die wir in letzter Zeit erleben - aber auch in anderen theologischen Debatten - ist häufig zu hören, der eigene Standpunkt werde wohl von zwei Seiten kritisiert werden - von denjenigen, denen er "nicht weit genug" gehe, und von denjenigen, denen er "zu weit" gehe. Welche Funktion hat diese Feststellung?
Sie dient dem Sprecher dazu, sich gleichsam in einem sicheren Mittelfeld zu positionieren. Er sagt den Zuhörern oder Lesern: Seht her, ich vermeide die Extreme. Ich werde von beiden Seiten kritisiert. Und liegt die Wahrheit nicht stets in der Mitte?
Deswegen ist diese Sprachfigur heute bei Bischöfen so beliebt, heißt es doch oft bei den aussichtsreichsten Kandidaten für dieses Amt, sie seien ein "Mann der Mitte".
In einer Situation der zunehmenden innerkirchlichen Polarisierung mag das als sichere Position erscheinen. Sie maßt sich sogar auch noch etwas Mutiges an, weil man doch bereit sei, für gleich zwei Gruppen "unbequem" zu sein. Gleichzeitig spekuliert sie aber doch darauf, dass sich - entsprechend der Gauß'schen Normalverteilung - die meisten Adressaten ebenfalls im Mittelfeld befinden, man also letztlich die freundlich nickende Mehrheit hinter sich hat.
Abgesehen von der Frage, wodurch eigentlich die Endpunkte eines solchen Kontinuums definiert werden, und abgesehen von der Tatsache, dass sie sich offensichtlich auch verschieben können, sodass man die eigene Position irgendwann weiter korrigieren muss, um immer noch in der Mitte zu liegen: Das eigentliche Problem ist, dass eine Aussage nicht dadurch wahr wird, dass sie in der Mitte zwischen zwei Extremen liegt.
Wenn bei einer Parteiveranstaltung hundert Personen anwesend sind, und ein Beobachter die Anzahl auf zweihundert und der andere auf dreihundert schätzt, dann liegt trotzdem der dritte Beobachter falsch, der die mittlere These vertritt, es seien zweihundertfünfzig Besucher im Raum.
Benedikt Göcke hat gerade in der Herder Korrepondenz an einen interessanten Satz des Philosophen Wolfgang Cramer erinnert, dem zufolge Argumente nicht "durch das Faktum einer allgemein verbreiteten Denkweise widerlegt werden" könnten. Ansonsten könne man "die Lösung philosophischer Fragen den Instituten für Meinungsforschung übergeben."
In der Religion und in der Moral geht es um Wahrheit. Und die lässt sich nicht per Mehrheitsbeschluss oder Normalverteilung finden.
Aber vielleicht ist das ja jetzt schon eine Extremposition...?

Dienstag, 20. Februar 2018

Totaler Gehorsam bereitet psychische Schwierigkeiten

Das Erste Vatikanische Konzil
Der Papst hat den Rücktritt von Bischof Peter Ebere Okpaleke von Ahiara in Nigeria angenommen und einen Nachbarbischof als Apostolischen Administrator eingesetzt - so lautete gestern die dünne Mitteilung im Bulletin des vatikanischen Pressesaals. Dort werden nahezu jeden Tag "Rücktritte und Ernennungen" mitgeteilt. Doch diese spezielle Meldung hat es in sich. Ich habe im vergangenen Sommer für die Herder Korrespondenz den Fall der Diözese Ahiara kommentiert.
Papst Benedikt XVI. hatte Okpaleke 2012 zum Bischof von Ahiara im Süden Nigerias ernannt. Die Bevölkerung dort gehört zur Ethnie der Mbaise. Das Bistum im Bundesstaat Imo hat einen Katholikenanteil von 77 Prozent und ist damit eine der katholischsten Gegenden Nigerias. Bischof Okpaleke stammte allerdings aus dem benachbarten Bistum Awka im Bundesstaat Anambra und war kein Mbaise. Die Ernennung eines auswärtigen Bischofs wurde von einem Großteil des Klerus und der Gläubigen schlecht aufgenommen. Es kam zu heftigen Protesten. Demonstranten blockierten die Kathedrale, sodass schon die Bischofsweihe im benachbarten Erzbistum Owerri stattfinden musste. Seitdem war es dem Bischof nicht gelungen, seine neue Diözese in Besitz zu nehmen.
Im Sommer 2017 hatte sich schließlich Franziskus des Problems angenommen und diejenigen, die hinter dem Bischof stehen, sowie die gegnerische Partei eingeladen, jeweils fünf Vertreter für eine Audienz in Rom zu entsenden. Doch die Gegner blieben zuhause; nur die Seite des Bischofs war angereist. Ihnen teilte Franziskus seine Entscheidung in dem Konflikt mit: Alle Kleriker der Diözese mussten dem Papst innerhalb eines Monats einen persönlichen Brief schreiben. Darin sollten sie ihn um Verzeihung bitten, ihren "totalen Gehorsam" versprechen und zusagen, jeden Bischof zu akzeptieren, den der Papst sendet und ernennt. Wer das nicht tue, verliere seine Stelle verlieren und werde a divinis suspendiert.
Dieses Vorgehen, so schrieb ich damals, zeuge von einem Amtsverständnis, das ganz dem Ersten Vatikanischen Konzil entspreche. Das war natürlich frech - ich wollte damit ein bisschen den Eindruck stören, Franziskus sei der Papst des Zweiten Vatikanischen Konzils.
"Spätestens jetzt muss jedem klar sein: Wenn es Papst Franziskus auf etwas ankommt, ann wird er 'totalen Gehorsam' fordern. Er weiß ganz genau, was das Erste Vatikanische Konzil in seiner dogmatischen Konstitution 'Pastor Aeternus' gelehrt hat: dass der Nachfolger Petri die 'Vollgewalt' innehat, 'die gesamte Kirche zu weiden, zu regieren und zu leiten' und dass die Gläubigen und die Hirten ihm 'zu hierarchischer Unterordnung und zu wahrem Gehorsam verpflichtet' sind, und zwar 'nicht nur in Fragen des Glaubens und des sittlichen Lebens, sondern auch in allem, was zur Disziplin und zur Regierung der Kirche auf dem ganzen Erdenrund gehört'. Papst Franziskus ist der erste Papst, der 'Pastor Aeternus' in einer Ansprache zitiert hat. Als es bei den beiden römischen Familiensynoden 2014 und 2015 zu unerwarteten Widerständen vonseiten einiger Bischöfe und Kardinäle gegen die Agenda von Papst Franziskus kam, sagte er in seiner Ansprache zum fünfzigjährigen Bestehen der Bischofssynode, der 'synodale Weg' gipfele 'im Hören auf den Bischof von Rom, der gerufen ist, als 'Hirte und Lehrer aller Christen' zu sprechen'. Das war ein gezielt eingesetztes direktes Zitat aus 'Pastor Aeternus'. Der Papst kann sich beraten lassen, er kann auf Gläubige und Bischöfe hören. Aber am Ende haben sie auf ihn zu hören."
Die Meldung aus dem Bulletin des Vatikans zeigt: Die Strategie des "totalen Gehorsams" hat offensichtlich nicht so richtig funktioniert. Vatican News berichtete dann gestern Nachmittag, es seien tatsächlich zahlreiche Briefe von Klerikern bei Franziskus eingetroffen, in denen auch viele ihre Reue zum Ausdruck gebracht, jedoch auch angemerkt hätten, "dass eine Zusammenarbeit mit Okpaleke nach den mittlerweile fünf Jahren des Konfliktes 'psychologische Schwierigkeiten' mit sich bringe."
Was lernen wir daraus?

Montag, 29. Januar 2018

Scheich und Scholastik

Vor einiger Zeit hatte ich die Gelegenheit, in Rom Großscheich Ahmad Muhammad Al-Tayyeb zu interviewen. Das Gespräch ist soeben in der Februar-Ausgabe der Herder Korrespondenz erschienen. Der Scheich ist eine der wichtigsten Autoritäten im sunnitischen Islam, denn er ist der Leiter der Al-Azhar. Dabei handelt es sich um eine Institution, die vom ägyptischen Staat unterhalten wird; sie umfasst die "Akademie für islamische Untersuchungen", also ein sunnitisches Gelehrtengremium, die gleichnamige Moschee sowie eine riesige Universität mit hunderttausenden von Studenten und Standorten in ganz Ägypten.
Ich habe lange zittern müssen, ob das Gespräch wirklich zustande kommt. Geholfen haben die Mitarbeiter der Gemeinschaft Sant'Egidio in Rom. Hier nahm Al-Tayyeb an einer Dialogveranstaltung teil, die Sant'Egidio in Kooperation mit "missio" veranstaltete. Nach längerem Hin und Her erfuhr ich schließlich per SMS Treffpunkt und Uhrzeit. Ich musste dann noch einen Dolmetscher organisieren und traf den Scheich - samt Entourage - in der Lobby eines römischen Hotels.
Offizielle Vertreter des Islam werden hierzulande fast nur zum Thema Terrorismus befragt und geraten dadurch von Anfang an in eine Verteidigungshaltung. Die Interviews haben dadurch meist etwas ziemlich Gereiztes. Ich habe einen anderen Einstieg versucht und den Scheich auf den Atheismus angesprochen. Meine Frage: Wie sollte man einem Nichtgläubigen gegenüber von Gott sprechen? Der Scheich hat dann verschiedene Wege der natürlichen Gotteserkenntnis angerissen, die bemerkenswerterweise genau die gleichen sind, die auch die christlichen Philosophen der Scholastik verwendet haben.
Der Glaube, so der Scheich, ist im Menschen quasi instinktiv eingegeben, wie ein Same, der "aufgehen und wachsen" muss. Bleibt der Mensch von störenden Einflüssen unberührt, kommt er ganz von selbst auf den Gottesgedanken, er ist von sich aus in der Lage, Gott mit den Mitteln der Vernunft zu erkennen. Der Unglaube und der Atheismus sind für Al-Tayyeb das Ergebnis "eines intellektuellen und kulturellen Umfeldes, das die Religion verdunkelt". Diesen Schleier gilt es, wegzuziehen. So lehrt es im Übrigen auch das Erste Vatikanische Konzil.
Erst im Anschluss an diese Gedanken habe ich das Gespräch dann auf das Thema der Gewalt gelenkt und den Scheich gefragt, woher wir denn wissen, dass Gott nicht vielleicht wirklich wünscht, dass wir seinen Willen in der Welt mit Gewalt durchsetzen...