Freitag, 13. April 2018

Liturgie, Nächstenliebe und dieses verrückte Internet

Damit muss man zurechtkommen. Ich habe vor zwei Tagen zum ersten Mal einen "Standpunkt" auf katholisch.de geschrieben. Kurzfristig sollte ich für einen Kollegen einspringen, hatte einen Nachmittag Zeit und den Auftrag, zum gerade erschienen Papst-Schreiben "Gaudete et exsultate" über Heiligkeit einen Kommentar von 2.000 Zeichen zu tippen. Normalerweise arbeite ich für eine Monatszeitschrift, da hat man 10.000 Zeichen und mehr und kann zur Not wochenlang darüber nachdenken, was man schreiben will. Wieder Wochen später hört man dann vielleicht von jemandem, der das "ganz interessant" gefunden hat.
Anders bei einem Internetportal mit Hunderttausenden Visits im Monat. Morgens um Sieben ist die erste Nachricht auf meinem Mobiltelefon (lobend!), kurze Zeit später höre ich von Leuten, die sich wegen meines Standpunkts Sorgen um mich machen. Über Facebook kommen Hinweise auf Auslassungen und Interpretationsfehler, man moniert mangelnden Respekt gegenüber den Worten des Heiligen Vaters, zwischendurch erreichen mich auch immer wieder Nachrichten der Zustimmung und des Dankes. Auf der Facebook-Seite von katholisch.de schreibt jemand, dass Menschen wie ich die Leute von der Kirche wegtreiben. Meine Güte. Ich frage mich, ob die Kollegen von katholisch.de sich das alles durchlesen.
In dem Text hatte ich geschrieben, dass mir im Dokument des Papstes die Liturgie zu kurz kommt. Denn für das Zweite Vatikanische Konzil spielt der Gottesdienst die entscheidende Rolle für die Heiligung des Menschen (Sacrosanctum Concilium) bzw. die Berufung aller Christen zur Heiligkeit (Lumen Gentium).
"Gaudete et exsultate" betont dagegen stark die Bedeutung der aktiven Nächstenliebe. Dabei hängen Gottesdienst (Liturgia) und Dienst am Nächsten (Diakonia) eng miteinander zusammen. Irgendwie schien mir dieser Zusammenhang in dem Papier nicht wirklich klar zu werden. Statt dessen warnt der Papst in seiner langen Liste von Verurteilungen vor den selbstgerechten "Neopelagianern", die mit ihrer ostentativen Liturgiepflege auf dem Holzweg sind. Das fand ich nicht fair, weil ich meine, dass viel zu viele Gottesdienste einfach nur lieblos und wurschtig gefeiert werden und ein bisschen mehr Sorge um die Liturgie durchaus angemessen wäre.
Dass das Stichwort "Liturgie" nur in dieser Passage des Dokumentes vorkommt, finde ich schon bezeichnend. Das Thema freilich ist durchaus an verschiedenen Stellen präsent - aber meines Erachtens eben nicht den entscheidenden. Ein Beispiel: Die Feier der Messe wird in dem Schreiben in der Tat erwähnt, nämlich dort, wo es um den geistigen Kampf gegen den Satan geht. "Das Leben des Christen ist ein ständiger Kampf" heißt es da - und zwar gegen den Teufel, der uns davon abhalten will, heilig zu werden. Den Teufel darf man sich laut Franziskus nicht allzu symbolisch vorstellen. Es handelt sich vielmehr um ein "personales Wesen", "das uns bedrängt". In diesem Kampf gibt es für Franziskus verschiedene Waffen - und zu diesen Waffen gehört auch die Eucharistie:
"Für den Kampf haben wir die wirksamen Waffen, die der Herr uns gibt: der im Gebet zum Ausdruck gebrachte Glaube, die Betrachtung des Wortes Gottes, die Feier der heiligen Messe, die eucharistische Anbetung, das Sakrament der Versöhnung, die guten Werke, das Gemeinschaftsleben, der missionarische Einsatz."
Es mag ja sein, dass man die Liturgie auch als Waffe gegen den Teufel verstehen kann, aber sie ist ja doch vor allem und zuerst "Quelle und Höhepunkt" des ganzen kirchlichen Lebens, wie das Konzil lehrt.
Ist es in Ordnung, diese Beobachtungen zur Diskussion zu stellen? Es ist ja bemerkenswert, dass es überhaupt noch Leute gibt, die von Lehrschreiben des Papstes zu Debatten und Reflexionen angeregt werden. Die Frage ist, ob die Kommentarfunktion auf Websites und sozialen Netzwerken der einzige Ort sein sollten, an dem kirchliche und gesellschaftliche Diskussionen geführt werden. Ich finde nicht, denn vieles bleibt hier oberflächlich, auch aggressiv und polarisierend. Deswegen ist es ganz gut, dass es auch Monatszeitschriften gibt, die mehr Platz und mehr Zeit für Reflexionen bieten.
PS: Das findet der Papst übrigens auch. In Nr. 115 von "Gaudete et exsultate" schreibt er:
"Auch Christen können über das Internet und die verschiedenen Foren und Räume des digitalen Austausches Teil von Netzwerken verbaler Gewalt werden. Sogar in katholischen Medien können die Grenzen überschritten werden; oft bürgern sich Verleumdung und üble Nachrede ein, und jegliche Ethik und jeglicher Respekt vor dem Ansehen anderer scheinen außen vor zu bleiben. So entsteht ein gefährlicher Dualismus, weil in diesen Netzwerken Dinge gesagt werden, die im öffentlichen Leben nicht tolerierbar wären, und man versucht, im wütenden Abladen von Rachegelüsten die eigene Unzufriedenheit zu kompensieren."

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